Fünf Uhr morgens. Lautes Klopfen an der Tür reißt Meryem aus dem Schlaf. Meryems Mutter öffnet die Tür. Dort steht die Polizei: Meryem und ihre Familie sollen ihre Sachen packen. Sie sollen das Land verlassen, abgeschoben werden – sofort. Die Familie bricht in Panik aus und versucht noch mit der Polizei zu verhandeln, aber diese stapft schon längst durch die Wohnung, reißt Schränke auf und breitet den gesamten Inhalt mit einer Handbewegung auf dem Boden aus. Die kleineren Kinder fangen an zu weinen, verstehen nicht, was geschieht. Die Familie ist der Polizei, die auf Verlangen der Ausländerbehörde handelt, schutzlos ausgeliefert.
Solche Situationen haben schon viele geduldete Familien in Deutschland erlebt. Mitten in der Nacht, Sachen gepackt und ab zum Flughafen in ein nunmehr fremdes Land. So schnell geht das.
„Man lebt ständig in Angst, einer sehr großen Angst sogar.“, sagt Meryem.
Meryem Karmatz ist 18 Jahre alt. Als sie gerade mal ein halbes Jahr alt war, ist ihre Familie aus dem Libanon nach Deutschland geflohen. Hier ist nun ihre Heimat, sie ist gut integriert und hat Pläne für ihre Zukunft. Nach dem Abitur möchte sie Jura studieren.
Vor sieben Jahren aber ist Meryems Familie ohne jeglichen Grund das Bleiberecht entzogen worden. Seitdem lebt die Familie auf Duldung in Deutschland, im Amtsdeutsch bedeutet das: „Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Ein Schwebezustand, in dem sie ewig davon bedroht ist, abgeschoben zu werden. Ihr Leben in Deutschland liegt unsicher vor ihr, sie kann kaum Einfluss auf ihre Zukunft nehmen.
In verschieden großen Abständen muss Meryem zur Ausländerbehörde, um ihre Duldung verlängern zu lassen. Manchmal bekommt sie eine Duldung für sechs Monate, dann wieder nur für drei Monate, zwei Wochen oder nur für einen Tag und jedes Mal muss sie aufs neue fürchten, dass sie in ein Land abgeschoben wird, das sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern kennt. Die Stimmung in der Ausländerbehörde ist eiskalt und die Angst vor den knallharten Sachbearbeitern, die hinter ihren Schreibtischen sitzen und „nur ihren Job“ ausüben, hängt in der Luft.
Um die 200 000 Ausländer in Deutschland leben mit einer Duldung, die meisten schon über mehrere Jahre. Man lässt sie nicht wie Deutsche leben. „Wir leben in einem Gefängnis, nur ohne Gitter.“, beschreibt ein junger Mann seine Situation.
Geduldete Menschen dürfen ihren Landkreis nicht verlassen und leben in winzigen Wohnungen oder Aufenthaltsheimen. Mit monatlich nur 150€ vom Staat müssen sie auskommen – fast unmöglich. Damit nicht genug: Lebt man auf Duldung, ist es einem nicht erlaubt zu arbeiten, eine Ausbildung zu machen oder gar zu studieren.