DU bist Deutschland!

Seit dem 22. Oktober ist das Audimax der Uni Wien besetzt. Die Besetzungswut verbreitete sich in ganz Europa wie ein Lauffeuer und brachte auch Hamburg zum Brennen: Am Mittwoch, den 11. November machten sich ca. 250 Studenten der Uni Hamburg das Audimax zum Eigenheim.
Auch sie fordern ihr Recht auf demokratische Mitbestimmung in allen Bereichen der Universität ein. Neben dem Ruf nach Mitgestaltung hallen u.a. auch die Forderungen nach Abschaffung der Studiengebühren, gravierenden Änderungen im Bachelor-Master-System und die Auslegung des Studiums nach den Interessen und Fähigkeiten der Studenten durch den Hörsaal des Audimax. Bachelor und Master seien zu verschult, sie bieten zu wenig Raum für persönliche Interessen, heißt es und der einzelne Student wird nur als Wirtschaftsobjekt angesehen.

Nun wollte ich aber gerne mal wissen, ob es sich bei diesem Streik nur um ein kleines Strohfeuer handelt oder ob er sich jetzt schon zum Großbrand entwickelt hat. Die Suche nach einem Ansprechpartner erwies sich leichter als Gedacht und schon saß ich mit der zum Interview bereiten Maike R. im Audimax, um ihr meine Fragen zu stellen.
Maike studiert Erziehungswissenschaften mit dem Nebenfach Französisch. Obwohl sie von Anfang an dabei ist und zum größten Teil auch ihr Schlafquartier ins Audimax verlegt hat, sieht sie noch ganz frisch und motiviert aus. Sie fühlt sich wohl im Audimax, verrät sie mir. Es herrscht eine tolle, nahezu familiäre, Atmosphäre. Den harten Kern bilden 50-60 Studenten aus den unterschiedlichsten Fachbereichen. Ein Großteil kommt aus den Geisteswissenschaften, es finden sich aber auch Juristen und Wirtschaftswissenschaftler unter den Besetzern.
Da meine Informationen sich eigentlich nur auf die aktuellen Medienberichte beschränken, möchte ich jetzt mal klare Infos aus dem Krisenherd bekommen.

FREIHAFEN: Maike, welche Ziele liegen dir persönlich am Herzen?
Maike: Der besondere Schwerpunkt liegt für mich in der Reformierung des Bachelor-Master- Systems und der Demokratisierung der Uni. Ich möchte nämlich wie ein Erwachsener, eigenständig denkender Mensch behandelt werden, der selber entscheiden kann zu welcher Vorlesung er geht, der sich nach seinen Fähigkeiten Schwerpunkte setzen kann und die Entscheidungen an der Uni mitbestimmt. Ich möchte kein Instrument der Wirtschaft ohne Persönlichkeit sein.

Welche direkten Ziele siehst du für die Uni Hamburg?
Es sind momentan vor allem die aktuellen Dinge die uns bewegen, wie zum Beispiel die Wahl des neuen Uni-Präsidenten. Auf lange Sicht muss die Wahl zum Präsidenten demokratisiert werden. Außerdem ist uns die Solidarität zu beispielsweise dem Gängeviertel sehr wichtig. Die Kultur der Stadt muss erhalten bleiben. Weder die Uni noch die Stadt sollten wie ein, nur auf Effizienz ausgerichtetes, Unternehmen gestaltet werden.

Was muss denn geschehen, damit ihr die Besetzung beendet?
(grübelt) Das kann man nicht so direkt sagen. Natürlich haben wir da schon darüber geredet, konnte uns aber nicht auf konkrete Ziele einigen und ob solche überhaupt formuliert werden sollten. Ich persönlich würde den ersten Schritt darin sehen, dass die Uni-Leitung auf uns zukommt. Wahrscheinlich wird aber die Besetzung andauern bis das Audimax geräumt wird; unsere Ziele können nicht innerhalb weniger Wochen umgesetzt werden. Es ist aber wichtig, dass wir ein klares Zeichen setzen und auch das Interesse haben, nach der Besetzung weiterzumachen.

Wie sollen die Ziele erreicht werden? Bringt ihr da Lösungsvorschläge oder sollen das
mal schön die Politiker etc. übernehmen, die euch den Scheiß ja auch eingebrockt haben?

Nein! Das ist es ja was wir wollen: Mitbestimmen und mitgestalten.

Und wie arbeitetet ihr an solchen Vorschlägen; wie ist die alltägliche Arbeit strukturiert?
Jeden Tag haben wir ein Info-Plenum um 12.00 Uhr. Abends um 18.00 dann ein Diskussionsplenum. Vieles läuft spontan. Aber es gibt auch Arbeitsgemeinschaften, wie zum Beispiel die Presse oder Kultur AG. Ganz wichtig für uns ist einfach, dass möglichst viele Leute mitarbeiten.

Und wie kann das aussehen?
Erstmal sind wir, auch wenn es hier einen harten Kern gibt, offen für alle; man beteiligt sich schon wenn man einfach nur da ist. Auch wenn`s nur abends zum Kickern ist. Außerdem sind alle Gruppen und Diskussionsforen offen. Wir haben auch keine_n Pressesprecher_in – jeder kann das machen, wozu er Lust hat. Kommt einfach zum Info-Plenum. Da bekommt ihr alles mit, was über den Tag passiert, wo sich die AG´s treffen, etc..

Der Streik betrifft ja nun auch Schüler – die zukünftigen Studenten – was können die
tun, um sich einzubringen?

Wenn man nicht so viel Zeit hat immer vorbei zu kommen, dann kann man auch einfach z.B. Flyer verteilen. Das ist immer schon eine sehr große Hilfe!

Wie sieht das Verhältnis zur Uni-Leitung aus?
Das Verhältnis ist auf jeden Fall gestört. Wir fühlen uns durch verschiedene Vorfälle, insbesondere im Zusammenhang mit den Uni-Tagen, hintergangen und nicht ernst genommen. Durch diesen Vertrauensverlust sinkt auch unsere Gesprächsbereitschaft. Wir möchten unsere Selbstachtung bewahren und erwarten Gespräche, in denen wir ernst genommen werden und gleichwertige Gesprächspartner sind
_mg_2631Was können Politik, Gewerkschaften und Professoren tun?
Sich mit uns solidarisch erklären! Viele Gewerkschaften haben dies schon getan. Von den Professoren erwarten wir den Mut zu offenen Gesprächen und dass sie sich uns anschließen, sofern sie unsere Ansichten teilen. Die Politik sollte den Mut zur Einsicht und zum Kurswechsel haben. Außerdem sollten sie Interesse an direkten Gesprächen mit den Studenten bekunden.

Auf der Demonstration vom 17.11. befanden sich ca. 3.000 Studenten. Das sind in etwa
13% der 38.000 Studenten der Uni Hamburg. Wie erklärt ihr euch diese relativ geringe
Unterstützung?

Viele haben einen sehr straffen Vorlesungsplan. Außerdem muss erstmal das Interesse geweckt werden: an uns, unseren Zielen und vor allem auch dem Unigeschehen. Bei einer solch großen Uni kann sich schnell eher ein Anonymitäts- anstatt des Wir-Gefühls entwickeln.

Was ist denn, wenn ihr durch die Besetzung des Audimax die anderen Studenten am
Lernen hindert. Vielleicht empfinden sie die Zustände als gut und haben bspw. das Ziel,
ihr Studium so schnell wie möglich abzuschließen!

Natürlich besteht unser Ziel nicht darin, jemanden am Lernen zu hindern. Wir brauchen aber einen Freiraum – und den bietet das Audimax zu genüge. Außerdem stellt es auch in gewisser Weise ein Druckmittel dar. Wir sind aber immer zur Kooperation mit den Professoren bereit, sofern sie auch unserer Sache etwas Zeit widmen.

War denn die Demo der Höhepunkt und der Protest ebbt jetzt langsam ab?
Nein! Es ist noch lange nicht vorbei. Mit der Demo haben wir unserer Meinung Ausdruck verliehen, jetzt geht es weiter. Am Montag beispielsweise veranstalten wir einen Aktionstag. Wir wollen die Studenten informieren und zur Teilnahme motivieren. Dazu findet auch um 14.00 Uhr eine Vollversammlung im Audimax statt. Wir möchten mit mehr Präsenz, interessanten Vorträgen und Diskussionen den Studenten in nächster Zeit ein Alternativprogramm und Meinungsforum bieten.

Ich bedanke mich bei Maike für ihre Geduld. Jetzt geht ihr normaler Besetzeralltag in den Arbeitsgruppen weiter.
Ich bin froh mit ihr gesprochen zu haben. So konnte ich ein konkreteres Bild von den Besetzern, ihren Zielen und Vorhaben erhalten. Außerdem war es interessant zu sehen, mit welcher Überzeugung Maike den Streik darstellt und vertritt. Vielleicht können die Ziele ja mit der Unterstützung der Politik, Professoren und vor allem der Schüler und Studenten durchgesetzt werden. Somit könnte die Möglichkeit der aktiven Teilhabe in den universitären Prozessen und eine freiere Gestaltung des eigenen Studiums nicht mehr nur bei der Wahl des Mittagsmenüs in der Mensa gewährleistet werden.

FOTO: Andreas Hopfgarten

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