Nicht nur Insidern ist die Band, die Dero (39), Crap (39) und Flux (42) 1989 in Wolfsburg gründeten, schon lange ein Begriff: Rammstein ließen sich von ihnen inspirieren, mit Skunk Anansie und HIM gingen sie auf Tournee, Nina Hagen nahm mit ihnen ein Duett auf. Dennoch gelang „Oomph!“ mit ihrem unkonventionellen „Elektrorock“-Sound erst 2004 mit dem achten Studioalbum „Wahrheit oder Pflicht“ der Mainstream-Durchbruch. Ihr Hit „Augen Auf!“ kletterte damals an die Spitze der deutschen Charts. Mit „Monster“ ist das zehnte Album der Braunschweiger erschienen. Zum Jubiläum sprachen wir mit Dero und Flux.
FREIHAFEN: Hallo Jungs! Seit 1989 macht ihr nun schon gemeinsam Musik, dennoch kam der große Erfolg erst 2004 mit „Augen Auf!“. War das ein Triumph, nach sieben vorherigen Alben?
Flux: Natürlich war es eine Genugtuung für die jahrelange Arbeit, für die vielen Konzerte und Tourneen, die wir gespielt haben. Aber nur dadurch haben wir uns ja eine Fangemeinde aufgebaut, der wir unseren Erfolg verdanken.
Dero: Außerdem ist ein Durchbruch nach so langer Zeit gesund. Da kann man nicht mehr so leicht abheben wie ein 17- oder 18-Jähriger. In gesetztem Alter ist die Persönlichkeit gefestigter. Dann weiß man auch die ganzen ‚Schulterklopfer’ einzuschätzen, die einem, sobald es nicht mehr so gut läuft, als erstes in den Arsch treten.
Seid ihr noch dieselben, die ihr früher wart?
Dero: Ich hoffe doch stark, dass wir nicht mehr dieselben sind! Das wäre ja schrecklich, wenn ich feststellte, dass ich mich über Jahre hinweg als Mensch kein Stück weiterentwickelt habe. Man verändert sich ständig, macht Fehler, lernt daraus. Ich hoffe, dass diese persönliche Entwicklung auch auf unsere Musik abstrahlt.
Flux: Man muss aber auch sagen, dass die Verkaufszahlen in den vergangenen Jahren derart eingebrochen sind, dass man auch mit einem Platin-Award noch nicht ausgesorgt hat. Das heißt heutzutage lediglich, ein paar Jahre länger Musik machen zu können. In der Hinsicht hat sich also nicht viel bei uns verändert. Außer, dass wir jetzt in Medien stattfinden, die uns vorher nicht beachtet haben.
Dazu hat euer Sieg bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest im Februar 2007 bestimmt einiges beigetragen.
Dero: Sicher, das hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Ebenso unsere Ausladung vom Echo im März 2006 wegen unseres Songs „Gott ist ein Popstar“: Da landeten wir plötzlich als erste und bislang einzige Band, die vom wichtigsten deutschen Musikpreis ausgeladen wurde, in den Schlagzeilen.
Wieso hatte man euch nicht auftreten lassen?
Flux: Die Situation war damals aufgrund des Mohammed-Karikaturen-Streits extrem aufgeladen. Einige Verantwortliche bei RTL, wo der Echo ausgestrahlt wurde, haben dann den Schwanz eingezogen – aus Angst, unser Song würde zusätzlich Öl ins Feuer gießen.
Dero: Wir fanden diese Sensibilität erschreckend. Da hätten wir ein bisschen mehr Zivilcourage in Sachen Rede- und Meinungsfreiheit erwartet. Einen Song wie „Gott ist ein Popstar“ sollte eine säkularisierte Gesellschaft vertragen können.
Warum und auf welche Weise provoziert ihr denn mit dem Song?
Dero: Wir provozieren gerne. Aber es hat immer einen Grund, warum wir das tun; Provokation zum reinen Selbstzweck lehnen wir ab. Dementsprechend gab es auch bei diesem Titel Gründe, warum wir ihn so gemacht haben. Zum einen geht es um Kritik an der Religion, wobei wir keine Glaubensfeinde, sondern Religionskritiker sind. Zum anderen lassen wir mit diesem Song auch Kritik an der Castingkultur der Medien vom Stapel. Diese Kombination war wahrscheinlich zu viel für einen Sender, dessen Zugpferde Sendungen wie „Deutschland sucht den Superstar“ sind.
—————— Für alle die den ersten Teil des Interviews im Heft ‚Fleisch‘ gelesen haben: ——————
—————— ab hier beginnt der zweite Teil ——————

Eure Songs erzählen immer wieder von den Abgründen und dunklen Seiten der menschlichen Psyche: von fleischlicher Lust, unerfüllten Sehnsüchten, Schmerz und Leid. Wie kommt das?
Dero: Ich beschränke mich beim Texten hauptsächlich auf Kapitel meiner eigenen Biografie und Gefühlswelt, die mich am stärksten aufwühlen. In den Momenten, in denen ich glücklich und zufrieden bin, lehne ich mich einfach zurück und genieße den Augenblick. Irgendwie hatten wir mit Oomph! nie das Bedürfnis, auch diese sonnigen Momente musikalisch zu reflektieren. Vielleicht wäre das ja mal eine Herausforderung! Andererseits sind wir dadurch, dass wir unsere seelischen Abgründe auf musikalischer Ebene ausleben können, im Privatleben entspannt.
Ihr sprecht in euren Texten auch viele gesellschaftliche Missstände offen an. Was steckt dahinter?
Dero: Mich stört Intoleranz, Engstirnigkeit, geistige Unflexibilität. Der Gesellschaft mit unseren Liedern den Spiegel vorzuhalten und damit zu irritieren finden wir enorm wichtig. Und allemal besser, als den moralisch erhobenen Zeigefinger – der ist langweilig! Wenn man aber reflektiert, wie man selber etwas erlebt, und noch Interpretationsspielraum lässt, dann entsteht ein Diskurs über ein Thema, in den auch persönliche Erfahrungen der Hörer mit einfließen können. Ein bisschen verstören, Verwirrung stiften, Fragezeichen hervorrufen und zum Denken anregen – das war immer unser Ansatz.
Wird das nicht manchmal missverstanden?
Flux: Doch, natürlich. Wer ironisch mit einem Thema umgeht, wird auch missverstanden. Das ist normal. Dennoch ist es schade, wenn Leute immer nur an der Oberfläche kratzen und sich vorschnell eine Meinung bilden, obwohl sie niemals gewillt waren, unter die Oberfläche zu gucken. Leider ist es so: In allen Bereichen unserer Gesellschaft gibt es von Vorurteilen geprägte Menschen, die schnell verurteilen. Unsere Musik wird auch von vielen selbsternannten Hütern des ‚Heiligen Geschmack-Grals’ abgestempelt. Aber diese Leute haben sich nicht die Mühe gemacht, zwischen den Zeilen zu lesen.
Ist Musik geeignet, Botschaften zu vermitteln und etwas zu bewegen?
Dero: Es steckt große Macht und revolutionäre Kraft in der Musik. Leider ist dieser aufklärerische Aspekt in den vergangenen Jahren ein wenig verloren gegangen. Und weil man Musik illegal umsonst kriegen kann, wird das auch gemacht. Darunter leiden die Musiker, aber auch die Gesellschaft, weil sie sich ihres eigenen revolutionären Potenzials beraubt.
Flux: Es gab ja auch schon immer Spaßmusik ohne tieferen Sinn. Die Frage ist nur, welcher Umfang ihr beigemessen wird. Heutzutage hat man das Gefühl, dass in den Charts ziemlich viel Schrott dabei ist, bei dem es einfach nur um Berieselung und Abschalten geht, und nicht um Inhalte. Das liegt auch an den Musikschaffenden selbst, die häufig nur nach dem schnellen finanziellen Erfolg schielen, anstatt den steinigen, aber innovativen Weg zu gehen.
Wäre es auch das, was ihr jungen Leuten fürs Leben raten würdet: einen eigenen Weg zu beschreiten?
Dero: Unbedingt! Darum geht es auch in unserer Single „Labyrinth“: Jeder muss sich in seinem Leben für seinen Weg entscheiden und eigene Türen öffnen. Auch wenn dahinter vielleicht der vermeintlich falsche Weg liegt – es ist der eigene. Wenn man den Mut hat, Entscheidungen zu treffen, Sachen einfach auszuprobieren und sich für seine Träume einzusetzen, dann muss man sich hinterher wenigstens keine Vorwürfe machen, man hätte es nicht versucht.
Viele die euch sehen denken, ihr wärt finster, böse und fies drauf. Seid ihr aber gar nicht.
Dero: Natürlich nicht! Wir sind total normal. Die meisten wären vermutlich schockiert, wie normal wir sind.