Es riecht nach Farbe. Dämpfe liegen in der Luft. Draußen peitscht der Wind Schneeflocken durch die Straßen. Von der Decke wachsen Eiszapfen. Bei -5° kauert eine Person auf dem dunklen Holzboden eines Ateliers. Eingehüllt in einen Mantel und einen dicken Wollschal malt er auf eine Leinwand, die vor ihm auf dem Boden liegt. Die Heizung darf er nicht benutzen. Er malt trotzdem. Seit Ende August 2009 hat der Künstler Be’shan ein Atelier im Hamburger Gängeviertel.
„Während du malst, bist du der glücklichste Mensch der Welt. Selbst wenn hinter dir die Welt untergeht. Ganz egal.“ Anscheinend verhindert das nicht mal eine kleine Eiszeit. Das entstandene Werk benannte er „Beglücktes Ding -5“. Die Zahl steht für die damalige Temperatur.
1992 verließ Be’shan Georgien und zog nach Hamburg. Er war junge 21. Die Sowjetunion war zerbrochen und er sah keine Zukunft mehr in seinemHeimatland, das jahrzehntelang unter sowjetischer Herrschaft stand. Dort studierte er Deutsch und schrieb für eine regimekritische Studentenzeitung, die später auch Drohungen von dem russischen Geheimdienst bekam.
Be’shan lebt gerne in Hamburg. Nur für Künstler ist es ein hartes Pflaster, meint er. „Hamburg ist eine sehr feudale Stadt. Es liegt einfach in der Natur der Hamburger, Geschäfte zu führen. Alles Pfeffersäcke.“ Das macht es nicht leicht für Künstler. In Hamburg gibt man lieber Geld für andere Projekte aus. Für eine neue Philharmonie oder eine Bauaustellung im sogenannten Problemstadtteil Wilhelmsburg.
Be’shan erzählt von einer Frau, die ihm ein Gemälde abgekauft hatte. Nach einigen Tagen rief die Käuferin an und erklärte aufgebracht, dass ihr Sofa nicht zu dem Gemälde passe. Be’shan lacht. „Kunst ist doch kein Dekoartikel“. In anderen Städten herrsche da eine andere Einstellung. In Düsseldorf oder Berlin zum Beispiel.
Da sei es auch leichter von der eigenen Kunst zu leben. Und das will er. „In Hamburg bist du entweder ganz reich oder ganz arm.“
Be’shans Kunst besticht durch ihre besondere Farbigkeit. Leuchtende, satte Farben, die einen magisch anziehen, schmücken die Leinwand. Werke wie „Konsumania“, „Arbeit macht frei“ oder „S54361G73789B8274“ behandeln soziale Themen, wie Arbeitslosigkeit, deutsche Bürokratie und Konsumgesellschaft. Diese erinnern etwas an Daniel Richter, den Shootingstar der Hamburger Kunstszene, der mit seinen surrealen, neonfarbenen Gemälden berühmt wurde. Daniel Richter setzte sich auch für die Besetzung des Gängeviertels ein. „Ja, das stimmt. Er hat mich inspiriert. Aber Daniel Richter hat die Kunst auch nicht neu erfunden. Das ist ja auch gar nicht möglich.“

Bei Be’shans neueren Werken fühlt man sich eher an Mark Rothko erinnert, einen der Hauptvertreter des amerikanischen, abstrakten Expressionismus. Man verliert sich schnell in Be’shans abstrakter Malerei. Die Gemälde ziehen einen in ihren Bann. Eine grüne Sternwolke scheint sich aus dem Schwarz des Himmels zu lösen. „Wovor haben Sie Angst?“ fragt einen der Titel. Man wird mit der eigenen Gefühlswelt konfrontiert und weiß nicht so recht, ob man von Furcht erfasst oder erlöst ist. Ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass Kunst nicht immer mit dem Kopf zu begreifen ist.
Für Be’shan ist Kunst eine Therapie. Eine spirituelle Erfahrung. „Ich setze das fort, was Rothko angefangen hat,“ erklärt Be’shan. Zu Rothkos Zeiten sollen einige Betrachter seiner Gemälde in Tränen ausgebrochen sein, weil sie die Spiritualität der Farbigkeit überwältigte. Den größten Einfluss auf Be’shan hatten nichtsdestotrotz zwei andere Größen der Malerei. Vincent Van Gogh, ein Vertreter des frühen Expressionismus und Claude Monet, ein impressionistischer Maler, der als Wegbereiter der modernen Kunst gilt.
Es sind große Fußstapfen, in die Be’shan tritt. „Die Malerei erlebt zurzeit eine Wiedergeburt“, erzählt er optimistisch. Das Gängeviertel hat einen großen Teil dazu beigetragen. „Man muss seinen eigenen Träumen treu bleiben“, sagt er mit der Überzeugung eines Zwanzigjährigen. Be’shan ist dieses Jahr vierzig Jahre alt geworden.
FOTO: Andreas Hopfgarten