Sherlock – der wahrhaftige

Werter Leser, ganz gleich, wo du dich gerade befindest, vollkommen egal, welche Dinge dich zurzeit beschäftigen, nimm Abstand, lasse los und folge mir auf eine Reise durch die Jahrhunderte.
Dunkle, verwinkelte Gassen, düstere Gestalten, der beißende Geruch von Fäulnis gemischt mit einem Hauch Whiskey, einer Ahnung von Schnaps, Bier, Rum. Der Himmel eher schwarz als grau, behangen mit drückenden Wolken, von grellen Blitzen durchzogen. Nicht zu vergessen: Apokalyptischer Regen, der Kutschen auf Kopfsteinpflaster rutschen lässt, der dich durchnässt, dein schwarzes Cape triefen lässt.
Nun schließe für eine Weile die Augen, nimm die Stimmung in dich auf und, ganz wichtig, lies weiter.
Sherlock Holmes (Robert Downey Jr.) hat mit seinem guten Freund und Partner Watson (Jude Law) mal wieder geschafft, was Scotland Yard unmöglich war. Der Serienmörder Lord Blackwood (Mark Strong) ist gefasst und sein letztes Opfer gerettet. Nun erwartet ganz London seine Hinrichtung, weswegen er allerdings nicht beunruhigt scheint. Blackwood, augenscheinlich ein Anhänger dunkler Mächte, der bei seinen Verbrechen stets nach Ritualen vorgeht, ist von seiner Auferstehung von den Toten überzeugt und kündigt Holmes weitere Opfer an. Der berühmte Detektiv und vor allem Watson geben nicht viel auf derlei Aussagen, doch obwohl letzterer höchst persönlich Blackwoods Tod protokolliert, scheint das Unfassbare wahr zu werden – der Lord taucht wieder auf. Es beginnt eine rasante Verfolgungsjagd samt schwarzer Magie, komplizierter technischer Apparaturen, unheimlicher Gestalten und einer durchtriebenen Frau, die zu entschlüsseln wohl Holmes schwierigste Aufgabe darstellt.
Zu actiongeladen? Zu brutal? Zu sehr Hollywood? Ich sage: Zu kritisch! Zugegeben: Bei erster Betrachtung, mit naivem Blick, habe auch ich mich an der Darstellung des legendären Detektivs gestört. Sherlock Holmes, ein Meisterwerk der Literatur, ein Mann, der Arthur Conan Doyle den Status eines Halbgottes bescherte, soll eine fehlbare Gestalt sein? Zuweilen heruntergekommener Säufer, ein brutaler Schläger, der bei fraglichen Veranstaltungen Gegner gegen Geld nachhaltig schädigt? Wo ist dort der eloquente Gentleman, messerscharf im Verstand, Watson stets lehrend, der doch eher Schüler als Partner ist? Meine erste Reaktion: Abwehr. Betrachtet man den Fall, um im Jargon zu bleiben, jedoch genauer, ist schnell klar: Regisseur Guy Ritchie tut Arthur Conan Doyle einen riesigen Gefallen. Er schafft es nach unzähligen Fehlinterpretationen, endlich den wahren Holmes zu porträtieren. Er versteht Doyle. Er weiß des Autors Bücher richtig zu lesen und entfaltet uns, nach langer Täuschung, die eigentliche Vielschichtigkeit Sherlocks.
Tatsächlich berichtete nämlich bereits der Urheber von Holmes’ kampftechnischer Versiertheit, dessen Lasterhaftigkeit, von wochenlanger Isolation und dem damit verbundenen Drogenkonsum. Man könnte beinahe sagen, die aktuelle Verfilmung sei verharmlost, hat sich die Romanfigur schließlich Morphium und Kokain einverleibt, während man sich nun auf Tabak beschränkt. Und überhaupt ist den Machern des Filmes bei der Umsetzung nichts vorzuwerfen. Ihnen selbst war es ein großes Anliegen, diesen Prozess fehlerfrei zu durchlaufen. So standen sie unablässig mit Mitgliedern der „Baker Street Irregulars“ in Kontakt, einer angesehenen Gruppe amerikanischer Holmes-Fachmänner.
Sieht man allerdings einmal von dem offensichtlichen Fokus aller derzeitigen Kritik ab, ist hier und da doch noch etwas anzumerken.
Die Musik ist generell sehr gut gelungen. Sie bringt dem Zuschauer die Atmosphäre des Londons vom späten 19. Jahrhundert näher, sorgt für Herzklopfen, feuchte Hände, Unruhe. Besonders Sherlocks Leitmotiv ist auffallend passend: Gewitzt, flink, frech, in Nuancen ernst und düster, schwer und beklemmend. Umso trauriger macht die Häufigkeit der Verwendung. Ganz offensichtlich konnte sich Hans Zimmer, der musikalische Leiter des Stabs, vor Begeisterung seines Werkes selbst kaum einkriegen – der Gehörsinn wird, vor allem anfänglich, eindeutig überstrapaziert.
Im Resümee bleibt „Sherlock Holmes“ von Guy Ritchie jedoch ein Film, für den es sich lohnt horrende Kinopreise zu zahlen. Sowohl Anhänger der ersten Stunde, als auch Neuentflammte und solche, die bisher nur einen Namen, ein Image im Kopf haben, sollten sich unbedingt belehren lassen. Dieser Film dürfte den Blick auf den wohl beliebtesten Schnüffler nachhaltig beeinflussen und ihn endlich ins rechte Licht rücken.

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