Normal to be strange

Als kleiner Junge zum Megastar getrimmt und von seinem Vater mehr trainiert als erzogen und geliebt, von der Presse gejagt und von den Fans fast krankhaft vergöttert, führte Michael Jackson mit Sicherheit kein einfaches oder leichtes Leben. Als Superentertainer gefeiert, als „Freak“ verdammt war es ihm quasi unmöglich, seine Persönlichkeit hemmungslos auszuleben, noch dazu vor einem Milliardenpublikum. Wo Erfolg und Freude ist, da versammeln sich auch gerne Neid und Hass. Es ist ein fürchterliches Dilemma bei uns Menschen, dass Paradiesvögel eine so begehrte Jagdtrophäe sind. Und leider sind es die Schwachen, die heimlichen Neider die den Abzug drücken. Das Michael Jackson es solange ausgehalten hat, sich dem Neid und Hass zu stellen ist bemerkenswert. Verglichen mit den gegenwärtigen „Superstars“ wirkte er ungewohnt brav für einen Prominenten. Während Popstars Heute mit fehlenden Höschen oder Prügeleien mit Fotografen Schlagzeilen machen, ist Jacksons Medikamentensucht dagegen lächerlich. Man überlege nur, wie viele Normalmenschen von Antidepressiva etc. abhängig sind. Auch die Gerüchte, er habe in einem Sauerstoffbehälter geschlafen, um länger zu leben oder die Gebeine eines Elefantenmenschen gekauft, um damit zu spielen sind eher lustig als erschreckend. Im Grunde war das, was er nach außen hin verkörperte oder zu verkörpern versuchte, eine harmlose und weltverbesserische Märchenfigur, eine wie von Walt Disney gezeichnet.
Trotz all dieser Schwierigkeiten, die ein Leben in aller Öffentlichkeit mit sich bringt, muss Michael Jackson viel Freude in seinem Leben verspürt haben. Nicht nur auf Grund seines Erfolges oder des Geldes wegen. Freude am und zum Leben findet sich in fast allen seinen Texten. Wo heute von Schwanz lutschen, Gewalt und Macht gesungen wird, da sang er von einer besseren Welt, von Gleichheit zwischen den Hautfarben, von Respekt und Liebe zur Natur. Jacksons Lieder machen Spaß. Sie sind fröhlich, witzig und voller Energie – genau wie seine Tänze. Sieht man ihn sich bewegen, kann man seine eigenen Beine kaum stillhalten. Fred Astaire, die Tanzlegende der vierziger und fünfziger Jahre schlechthin, nannte ihn seinen Nachfolger und den größten Tänzer des Jahrhunderts. Seine musikalische Richtung kreierte einen noch nie dagewesenen Stil. Viele moderne Topstars á la Timberlake sind lediglich dilettantische Kopien dieses unfassbaren und so einzigartigen Menschen, dessen Musik unsterblich ist und dessen Freude und Energie diese Welt um einiges bereichert haben.
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Die meisten Leser des FREIHAFEN werden sich vermutlich nicht diese Gedanken um Michael Jackson gemacht haben und ihn eher als Randfigur internationaler Prominenz wahrgenommen haben, über die lediglich in Boulevardmagazinen mit abstrusen Behauptungen berichtet wurde. Seine Klassiker, die in aller Munde sind, wurden ab und an in Diskotheken gespielt, er selbst allerdings wirkte eher wie ein sakraler Geist, der Altmeister der Popmusik. Ein zurückgezogenes Genie, doch nie wirklich präsent. Lediglich im Jahre 2005 tauchte er persönlich auf. Vor Gericht. Beschuldigt der sexuellen Belästigung von Minderjährigen. Schon vor der Bekanntgabe durch die Geschworenen stand das Urteil der Öffentlichkeit fest. Daran konnte auch der Freispruch des Gerichtes bis zu seinem Tode nichts ändern. Da folgte prompt die Heiligsprechung – verstehe einer die Menschen. Vielleicht ging es für die meisten nur darum, Recht zu behalten, dass es bei so viel Erfolg nicht mit rechten Dingen zu gehen könne.
Nun, meine Generation wurde eben gerade geboren, als er auf dem Zenit seiner steilen und harten Karriere stand, als er neue Maßstäbe errichtete, der Welt eine völlig neue Musik und natürlich den „Moonwalk“ schenkte. Wir sahen weder den ersten Kinderstar dieser Welt aufwachsen, noch den großartigen Entertainer auftreten, der seine Fans zu hunderten in Ohnmacht fallen ließ. Wir verstehen den Rummel um ihn nicht wirklich. Das liegt vermutlich auch daran, dass wir kaum Grenzen kennen. Die spektakulären Auftritte Jacksons, sein kunterbuntes Leben wirken auf uns nicht befremdlich oder abenteuerlich. Denn heute ist es schwierig geworden, Rekorde zu brechen oder die Öffentlichkeit zu schockieren. Diesen Zustand haben wir auch dem King of Pop zu verdanken. Als Vorreiter dieser Gesellschaft ohne Grenzen haben uns seine Persönlichkeit und sein musikalisches Schaffen den Weg ins 21. Jahrhundert geebnet. Er, der Grenzenlose, der weder weiß noch schwarz, weder Mann noch Frau war und der als Erwachsener lebte wie ein Kind, war der Inbegriff des modernen Menschen, der glaubt, alles sein zu können, was er sich erträumt. Gleichzeitig war er Mahnung dafür, dass es seine Schattenseiten mit sich bringt, alle seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Deshalb nennen wir es Träume und nicht Pläne.
Was soll man also von ihm halten? Was kann unsere Generation rückblickend sagen, über diesen wunderlichen Menschen, der wie wenige die Geister scheidet? Vielleicht, ja vielleicht war ’MJ’ ein einziger Maskenball. Mit Pauken und Trompeten und bunten, glitzernden Kostümen. Nur, trägt man eine Maske lange genug, so beginnt diese langsam mit dem echten Gesicht zu verschmelzen. Bis zu dem Punkt hin, da die Maske zum echten Gesicht wird. Bei jemandem wie Michael Jackson, der Tag und Nacht von der Öffentlichkeit beobachtet wurde und dessen größtes Talent es war auf der Bühne zu „spielen“, ist diese grundlegende Metamorphose durchaus vorstellbar.
Der Künstler wird so zu seinem Werk.

ILLU: Nikolai Zabolotski

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