Das unerwünschte Leben

„Ich bin generell gegen den Schwangerschafstabbruch, weil man dadurch Leben tötet.“, sagt Merle, 16 Jahre. Ihre Freundin Frederike ist der gleichen Ansicht. Sie meint, jeder Mensch habe ein Recht auf Leben und beurteilt die gesetzliche Lage in Deutschland als zu locker: „Je länger die Frist bis zu einem Schwangerschaftsabbruch, desto größer ist auch das Leid des Kindes.“ Dass das aber nicht jeder so sieht, bestätigt der 18-jährige Max*: „Nach den zur Zeit gültigen Auflagen in Deutschland bin ich für die Abtreibung.“

Mit dem Schwangerschaftskonfliktgesetz von 1995 wurde in Deutschland eine neue einheitliche Regelung bezüglich der Abtreibung hergestellt. Diese Gesetze gelten noch heute und sind im Strafgesetzbuch verankert. Danach hat jede Frau die Möglichkeit, ihre Schwangerschaft abzubrechen, wenn sie sich nach gesetzlichen Vorgaben beraten lässt und dies durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle bescheinigt ist. Ebenfalls bei Lebensgefahr für die Schwangere (medizinische Indikation), oder bei einer Schwangerschaft durch eine Sexualstraftat (kriminologische Indikation), erlaubt.

Im Jahr 2006 wurden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt von insgesamt 119.710 Abtreibungen 116.636 auf Grund von Beratungsregelungen durchgeführt, das entspricht über 97 Prozent. „Ich kann mir nicht vorstellen einmal abzutreiben. Aber ich weiß nicht, wie ich entscheiden würde, wenn ich durch eine Vergewaltigung schwanger werden würde“, so Frederike. Natürlich ist es unmöglich, sich in eine solche Lage zu versetzen. Auch Max kann sich eine Abtreibung seiner Freundin nur unter bestimmten Umständen vorstellen: „Jetzt zum Beispiel wäre ich für eine Abtreibung, wenn meine Freundin schwanger wird. Mit dreißig wahrscheinlich nicht mehr.“

In den Ländern, wo Abtreibung ausschließlich durch eine medizinische oder kriminologische Indikation möglich ist, zum Beispiel in Polen, ist die illegale Abtreibung ein großes Problem. Die Frauen treiben oft unter unhygienischen Verhältnissen selbst ab oder lassen eine Abtreibung im Nachbarland mit liberalerem Abtreibungsrecht, wie etwa in den Niederlanden, durchführen.

Um einen Schwangerschaftsabbruch herbeizuführen, gibt es verschiedene Methoden. Die für die Schwangere schonendste und in Deutschland gebräuchlichste Technik ist die Absaugung, sie kann bis zur 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Beim Eingriff wird der Gebärmutterhals erweitert und anschließend die Frucht abgesaugt, wodurch sie in Stücke zerrissen wird. Beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch durch die Abtreibungspille, welche nur bis zum Ende der 7. Schwangerschaftswoche möglich ist, bildet sich die Gebärmutter zurück und der Embryo erstickt. Wehenauslösende Mittel bewirken anschließend eine Totgeburt. Soll die Schwangerschaft nach der 12. Woche abgebrochen werden, zum Beispiel auf Grund von Fehlbildung des Embryos, muss durch Wehenmittel eine künstliche Fehlgeburt eingeleitet werden. Da das Kind diese Geburt überleben kann, muss es vorher durch eine Injektion getötet werden. Schließlich bleibt eine Abtreibung die Entscheidung der Mutter.

Ich kann diese Entscheidung aber nur akzeptieren, wenn sie mir sinnvoll erscheinend begründet ist. Wird das Beratungsgespräch ernst genommen, sollte die Frau über mögliche Risiken, Folgen und Alternativen zur Abtreibung informiert sein und sich über ethische Fragen Gedanken gemacht haben. Denn Frauen glauben oft nach einer Abtreibung, sich falsch entschieden zu haben. Die möglichen psychischen Schäden, wie etwa Angst- und Schuldgefühle, Depressionen und Störungen in den mitmenschlichen Beziehungen sind nicht zu vernachlässigen. Siebzig Prozent der Paare trennen sich nach einem Schwangerschaftsabbruch innerhalb eines Jahres.

Bei der ethischen Beurteilung der Abtreibung spielt auch der religiöse Aspekt eine große Rolle. Die offizielle katholische Lehrmeinung, vertreten durch den Papst, hält Abtreibung für Mord. Der Embryo gilt demnach als uns gleichwertiger Mensch. Max kritisiert diese Haltung; die katholische Kirche solle den Frauen nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben. „Abtreibung ist eine persönliche Entscheidung, die auch religiös nicht beeinflusst werden sollte.“ Abtreibungsbefürworter meinen, das Kind sei nicht mit einem Menschen gleichzustellen, da es noch nicht selbstständig lebensfähig und noch von der Mutter abhängig ist. Viele halten Schwangerschaftsabbruch dennoch für eine kriminelle Tat und sprechen der Frau das Recht, über Leben und Tod ihres Kindes zu entscheiden, ab. Schließlich sei das Leben des Menschen sein höchstes Rechtsgut und die Würde eines Menschen unabhängig von seiner Größe. Als mögliche Alternative für ungewollt Schwangere wird eine Freigabe zur Adoption oder die Übernahme des Kindes von einer Pflegefamilie vorgeschlagen.

Für Abtreibungsbefürworter hat die Selbstbestimmung der Frau oberste Priorität. Die Frau habe ein Recht auf Bildung und Erwerbsfähigkeit in Schule, Studium und Beruf. Wenn sie Karriere machen möchte, könne sie das Kind nicht bekommen.

Welche Meinung man auch vertritt, man sollte vorsichtig sein Urteile zu fällen, wenn man selbst noch nie in einer Situation war, in der einem diese Entscheidung abgefordert wurde. Merle sagt, sie akzeptiere, dass andere Frauen abtreiben. Gut findet sie es deshalb noch lange nicht.

*Name von der Redaktion geändert

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