Mein Name ist Efrain, ich bin einer von X Immigranten hier in Deutschland. Ich bin in Mexiko geboren und kam im Alter von fünf Jahren nach Deutschland. Meine Mutter hatte in Mexiko einen Deutschen kennen gelernt, sich verliebt, und ist ihm bis hier nach Deutschland gefolgt. Doch es war alles etwas komplizierter – und nach drei Jahren und einem ewigen Hin und Her mit den Behörden setzte sich meine Mutter endlich durch und die Heirat verschaffte uns die lang ersehnte Aufenthaltserlaubnis. Die Geschichte könnte hier vorbei sein. Doch es kam anders.
Ich hatte die Sprache schnell gelernt, meine Freunde gewonnen, mit denen ich den ganzen Nachmittag auf dem BMX-Fahrrad oder auf dem Spielplatz verbrachte. Ich wusste zwar, dass meine Wurzeln in einem fernen Land lagen, war mir dessen aber nicht wirklich bewusst. Ich war ein Kind und konnte nicht verstehen, was ich alles hinter mir gelassen hatte. Leider hielten es meine Eltern nicht lange miteinander aus. Der Trennung folgte die Scheidung und dieser die Abschiebung. Wir sollten das Land so schnell wie möglich verlassen. Wenn nicht genügend Geld für das Ticket da gewesen wäre, hätte der Staat den Flug gezahlt und ein Einreiseverbot verhängt. Das nennt sich dann Ausweisung. Wir hatten weniger als einen Monat Zeit.
Meine Mutter verschwieg mir zunächst, dass wir abgeschoben werden würden. Ich erfuhr es zwei Wochen vor unserem Flug. Im Kindergarten machte man mir noch ein Freundschaftstagebuch als Abschiedsgeschenk und wünschte mir alles Gute. Die letzten Unterrichtsstunden wurden nach meinen Wünschen gestaltet. Das war es. Noch ein Bruch in meinem Leben, den ich nicht wirklich verstand.
Meine Realität hatte sich in Luft aufgelöst. Wir mussten all unseren Besitz verkaufen, um unser Flugticket finanzieren zu können. Ich hatte auf einen Schlag den Kontakt zu der mir bekannten Welt abbrechen müssen, landete in einem mir fremd gewordenen Land, dessen Sprache ich nicht einmal mehr sicher beherrschte. Ich sehnte mich nach den Jahreszeiten, vermisste den Schnee, das ganze Grün und tat mich schwer damit, mich auf die neuen Umstände einzulassen. In Mexiko sind wir anders. Wir kümmern uns vielleicht nicht so fleißig um die Arbeit, sind nicht wirklich pünktlich und ja, wir feiern gut und gerne mehr als üblich. Aber dafür wissen wir immer, was wir an unserem Nächsten haben, sagen frei raus, was wir denken oder fühlen und tauschen respektvolle Distanz gegen Herzlichkeit. So sind die Kulturen. Jede hat ihre Stärken und Schwächen.
Es folgte eine unruhige Zeit, in der ich ein Zigeunerleben führte und mir wie ein Zirkuskind vorkam. Nach circa einem Jahr Trennung versuchte sich der Ex-Mann meiner Mutter mit einem Neuanfang. Vermutlich sehnte er sich nach der Leidenschaft und guten Küche meiner Mutter, die nicht nur hervorragend kochen kann, sondern auch eine Meisterkonditorin ist – auch wenn die deutschen Behörden das nicht anerkennen wollen, weil sie ein Stück Papier verlangen, auf dem das bescheinigt wird. Bürokratie übrigens, die es in Mexiko in dieser Form häufig nicht gibt: Auch meine Oma ist Meisterkonditorin und das reicht den Behörden dort vollkommen aus, um meiner Mutter zu erlauben, in der Gastronomie tätig zu sein. Dort wird davon ausgegangen, dass die Kinder bei der Arbeit der Eltern mithelfen und somit eine Ausbildung bereits daheim genießen. In einigen Handwerksberufen hat man dadurch gewisse Lizenzen „frei Haus“.
Nun, die beiden versuchten es noch einmal. Und scheiterten wieder. Ehe ich es wirklich begriff, befanden wir uns nach nur einem Jahr Aufenthalt in Deutschland wieder in Mexiko. Meine Mutter schien so sehr von den Deutschen angetan zu sein, dass sie sich gleich in den nächsten verliebte. Und so kamen wir wieder nach Deutschland. Hier gab es erneut Probleme mit dem Aufenthalt, sodass wir nach etwas mehr als einem Jahr wieder für ein halbes Jahr nach Mexiko flogen, um die notwendigen Unterlagen zu besorgen. Als wir dann wieder zurück kamen, gab es eine Gesetzesänderung, die weitere Papiere verlangte und eine weitere Rückreise nach Mexiko erforderte. Bürokratie ist manchmal ein internationaler Quälgeist.
Ich hatte im Alter von 12 Jahren die Nase voll und schlug meiner Mutter vor, sie könne mich bei meiner Oma absetzen, bis sie den Papierkram erledigt hätte. Ich würde dann nachkommen. Gesagt getan, und so ging es für mich erst nach zwei Jahren wieder quer durch die Staaten: In Zacatecas wies meine Mutter ihre Identität nach, da dies ihr Geburtsort ist.
In Chihuahua, meinem Geburtsort, wies meine Mutter meine Identität nach, damit sie mich auch wieder nach Deutschland einreisen lassen konnte, ohne den Verdacht des Kinderhandelsauf sich zu ziehen. Dann setzte sie mich wieder bei meiner Oma in Auguascalientes ab, flog nach Deutschland, heiratete in Dänemark, da erneut die Hochzeit die Lösung war, und bereitete dann meine Ankunft vor.
Somit kam ich im Jahre 2000 nach Deutschland. Und endlich auch etwas zur Ruhe. Im Jahr 2005 habe ich meine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bekommen, jetzt steht die Einbürgerung an. Wer bin ich jetzt? Der ewig frierende, gut gelaunte aber faule Mexikaner? Oder der stets nach Perfektion strebende, kühle und reservierte Deutsche?
Heute umarme ich herzlich Menschen, die ich auf Anhieb mag, sage frei und direkt, was ich denke und bin recht temperamentvoll. Trotzdem sind auch Zielstrebigkeit, Terminkalender und Uhr meine ständigen Begleiter. Ich habe andere um ihre Familien und Freunde beneidet und wollte auch mal eben am Wochenende meine Oma und Cousins besuchen. Doch ich habe gemerkt, dass Freundschaften und Familie funktionieren können, egal wie groß die Distanz zwischen den Menschen ist. Für mich ist Zuhause dort, wo mein Herz ist.