Ziviler Ungehorsam in Dresden – Ein Erlebnisbericht

„Bus rot an Bus grün“, schallt es leise aus der Dunkelheit. Dann ertönt ein kurzes Rauschen. Die Antwort aus dem Funkgerät ist zu undeutlich, als dass ich sie verstehen könnte.
Ich erwache aus meinem unruhigen Schlaf. Mein Nacken schmerzt.
Draußen erkennt man nichts. Nur Schwärze. Unser Bus steht in ständigem Kontakt zu den anderen Bussen der Kolonne. Insgesamt sind wir circa 20, die sich aus verschiedenen Städten zusammengefunden haben. In jedem Bus sitzen Menschen, die den Trauermarsch der Nazis in Dresden verhindern wollen.
Vor ungefähr sechs Stunden sind wir in Hamburg losgefahren. Unserem Ziel Dresden sind wir aber nicht sonderlich näher gekommen. Das schlechte Wetter machte uns bisher einen Strich durch die Rechnung.
Erst nach fast zwölf Stunden erreichen wir Dresden, nachdem wir die ganze Nacht durchgefahren sind. Der Schmerz von der langen Fahrt in unbequemen Sitzen steckt in allen Knochen, als ich mich aus dem Bus hieve. Es ist schweinekalt. Kein langes Warten. Auf zum Blockieren. Nach einem kurzen Beschnuppern mit der Polizei zieht es uns zum ersten Blockadepunkt auf der Leipziger Straße. Dort schließen wir uns einer großen Masse Gegendemonstranten an. Ein Lautsprecherwagen spielt fröhliche Musik. Die Stimmung ist positiv und ausgelassen. Es scheint so, als wäre die Blockade bereits geglückt. Aber noch ist alles ungewiss.

Auf der anderen Seite der Polizeisperre, außerhalb unserer Sichtweite, warten 5000 Neonazis am Neustädter Hauptbahnhof auf den Beginn ihres Trauermarsches. Der wird aber heute nicht stattfinden. Tausende Gegendemonstranten stellen sich diesem Vorhaben entgegen. Alle möglichen Marschrouten sind blockiert. Die Nazis, von denen auch einige von weither angereist sind, werden nicht durch die Stadt marschieren, sondern am Neustädter Bahnhof versauern. Uns freut das. Die Nazis sind eher verärgert. In der Nacht auf den 14. Februar lassen in Gera und Pirna einige hundert Neonazis ihrem Frust freien Lauf. Fast 200 von ihnen werden verhaftet.

Mittlerweile stehen wir auf dem Albertplatz. Dort erfahren wir, dass der Naziaufmarsch heute nicht stattfinden wird. „Die Polizei kann für die Sicherheit der Nazis nicht garantieren“, schallt es aus den Lautsprecherboxen. Die Freude ist groß. Überglücklich stoßen wir Jubelschreie aus. Vereinzelte Pfiffe sind zu vernehmen. Nach dieser frohen Nachricht müssen wir uns erst einmal aufwärmen. In einem türkischen Teehaus finden wir Unterschlupf. Hier ist es nicht ganz so überlaufen, wie bei Subways oder den üblichen Imbissbuden. „Wo kommt ihr her“, fragt uns der Besitzer. „Aus Hamburg“, antworten wir. „Da habt ihr aber eine lange Reise hinter euch“, meint er und lächelt uns zu. „Was kann ich euch bringen?“
Von der Menschenkette, die vom bürgerlichen Dresden initiiert wurde und symbolisch den Antisemitismus aus Dresden abhalten und gleichzeitig der Opfer der Bombenangriffe gedenken soll, haben wir nichts mitbekommen. Aus der Sicht der Blockaden ist diese Menschenkette auch sinnlos. Viel wichtiger ist die Präsenz an den Blockadepunkten.

Jedes Jahr findet am 13. Februar in Dresden ein Trauermarsch der Rechtsextremen Szene statt. Über die Jahre hinweg hat sich dieser zum größten Neonazitreffen ganz Europas etabliert. Vor genau 65 Jahren bombardierten alliierte Flugzeuge Dresden. 25.000 Menschen starben bei den Angriffen. Der Trauermarsch soll an dieses Ereignis erinnern. Zumindest für die breite Öffentlichkeit. Wenn man aber Plakate mit der Aufschrift Bombenholocaust sieht, wird einem schlecht. Der Begriff Holocaust kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Brandopfer“. Darauf wird sich heute abgemildert bezogen. Einen Bezug zum Völkermord an den Juden soll dabei angeblich nicht bestehen, so die offizielle Meinung. Unter dem Deckmantel der Trauer wollen die Nazis ihr widerwärtiges Gedankengut durch die Straßen Dresdens tragen.

Mit dem Einsetzen der Dämmerung lösen sich auch die Blockaden auf. Die Nazis sind blockiert und der Großteil ist auf dem Heimweg. Etwas Vorsicht ist dennoch geboten. Versprengte Nazigrüppchen könnten sich noch auf den Straßen befinden.
Heute scheint aber alles gut zu gehen. Stattdessen gibt es einen Art Siegesmarsch. In Begleitung eines Lautsprecherwagens laufen wir durch die Dresdener Innenstadt in Richtung Bustreffpunkt. „Alerta, Alerta Antifascista“, hallt es durch die schmalen Gassen Dresdens. Einer von vielen Hubschraubern, begleitet uns auf unserem Weg über eine der vielen Brücken. Links von uns erschließt sich ein wunderbarer Blick auf die erleuchtete Stadt, die sich vom dunklen Himmel abhebt. Mein Blick fällt auf vor mir tanzende Demonstranten. Die Stimmung ist ausgelassen. Am Rand schwenken schwarze Gestalten rote Flaggen. Grüne Gestalten begleiten uns über die Brücke.

Direkten Kontakt der beiden Lager gab es fast gar nicht. Glücklicherweise. Im Großen und Ganzen verlief die Demo erhofft friedlich. Erst in einigen Internetvideos bekommt man die Nazis zu Gesicht. Ein Video gibt aus einer leicht erhöhten Position einen Überblick der angereisten Rechtsextremen. Man sieht Deutschland- und Schwarz-weiß-rote Fahnen schwenken. Letztere basieren auf den gleichfarbigen Hakenkreuzflaggen des Dritten Reichs, die 1935 zur „Nationalflagge“ ernannt wurden. Da das öffentliche Führen des Hakenkreuz strafbar ist, sind nur die Farben desselben geblieben. Dann hört man die Masse rufen: „Frei, sozial und national“.
Nationale Sozialisten oder Autonome Nationalisten nennen sie sich heutzutage. Auf Youtube werben einige für ein alkoholfreies und drogenfreies Leben. Zu Demonstrationen tragen sie kapitalismuskritische Banner. Und im Internet findet man sogar eine Website mit dem Namen „Nationale Sozialisten für Israel“.
Ganz gleich womit sie ihren Fremdenhass und ihren Antisemitismus verdecken wollen. Nazi bleibt Nazi. Und Dresden ist dieses Jahr nazifrei. 2011 hoffentlich erneut.

FOTO: Andreas Hopfgarten

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