Hermann Hesse wird von Jugendlichen verehrt. Sein Werk umfasst mit Themen wie Selbstfindung, Krieg, und Spiritualität wichtige Aspekte der menschlichen Existenz. Er wurde für sein literarisches Werk mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Nobelpreis für Literatur 1946 für sein Gesamtwerk. Vor allem sein Roman „Der Steppenwolf“ findet nach wie vor glühende Verehrer unter jungen, politischen und gesellschaftskritischen Menschen. Und wer kann es ihnen verdenken, bietet der „Steppenwolf“ mit seinem Protagonisten Harry Haller, einem Kriegsgegner, Freigeist und Kunstliebhaber doch eine Menge Raum zur Identifikation.
Tatsache ist, dass Harry Haller oft autobiographische Züge aufweist: Sein endgültiger Bruch mit der bürgerlichen Gesellschaft ereignet sich, als er sich als Verlagsvorsitzender gegen den ersten Weltkrieg ausspricht, und als Landesverräter gebrandmarkt wird, woraufhin sich seine Freunde und Geschäftspartner von ihm distanzieren. Ähnlich erging es Hesse, als er 1914 für die „Neue Zürcher Zeitung“ einen Artikel schrieb, in dem er die deutschen Intellektuellen beschuldigte, auf nationalistische Polemik hereingefallen zu sein. Es kam zu mehreren politischen Debatten, in deren Zuge Hesse Hassbriefe erhielt, Freunde sich von ihm abwandten und er von der deutschen Presse stark angefeindet wurde.
Thomas Mann, den mit Hermann Hesse seit 1908 eine rege Brieffreundschaft und Liebe zur Literatur verbindet, bricht im Laufe seiner Äußerungen gegen den Krieg den Kontakt mit ihm ab. Er veröffentlicht 1918 die „Betrachtungen eines Unpolitischen“, in den er seine Haltung zum Krieg darlegt. Sein Hauptaugenmerk dient dabei vor allem dem Verhältnis zwischen Deutschland und den demokratischen Nationen, den USA, Frankreich und England. Mann vertritt hierin die These, dass auf Grund der gescheiterten demokratischen Revolution in Deutschland die deutsche Kultur mit der der demokratischen Nationen unvereinbar sei. Folglich sei ein bewaffneter Konflikt zwischen diesen verschiedenen politischen Systemen, und nach Mann auch Weltanschauungen, unvermeidbar. Im Allgemeinen stellte sich Mann als großer Kriegsbefürworter heraus, wofür er heute noch bekannt ist und oft kritisiert wird. Er sieht den Krieg als eine der beiden „Grundmächte des Lebens“, den er hierbei mit der Kunst vergleicht. In seiner Novelle „Der Tod in Venedig“ von 1912 ist dies besonders offensichtlich. Der Hauptcharakter Gustav von Aschenbach, ein Veteran und Schriftsteller, beschreibt seinen Weg zur Literatur als einzig vom Krieg ausgehend: „Ich war Soldat und Kriegsmann, die Kunst war ein Krieg.“ Mann sieht den Krieg als einen rauschhaften Taumel, der dem Soldaten völlige Hingabe abverlangt, und ihn so seiner eigenen Menschlichkeit näher bringt.
Denn Krieg und der Rausch der Gewalt, das ist für Thomas Mann neben der Kunst die bestimmende Kraft des Lebens, und der Urtrieb des Menschen.
Es ist also kein Wunder, dass Hermann Hesse immer noch von Jugendlichen als wegweisender Begründer des Pazifismus in der deutschen Literatur glorifiziert wird. Oft wird er dabei mit Thomas Mann verglichen, der zur selben Zeit wie Hesse wirkte, und als absolutes Gegenteil zu Hesses Ideologie und Menschenbild gilt.
Aber die Berührungspunkte dieser so gegensätzlichen Charaktere sind weniger bekannt.
Das Hesse’sche Ideal vom Menschen der „der Stimme in seiner Brust folgt“ hat nämlich auch dunklere Seiten, die ihn vor allem vor dem ersten Weltkrieg faszinierten. Er sieht die menschlichen Triebe ohne Wertung, woraus sich zum einen die romantischen Außenseiterphantasien aus dem „Steppenwolf“ ergeben, zum anderen auch abgründigere Erkenntnisse: Er sah in der Neigung des Menschen zum Krieg und zur Gewalt weitere Äußerungen der menschlichen Urtriebe, die es nicht zu unterdrücken, sondern vielmehr zu feiern gilt. „Sehen sie, ein ,Verbrecher‘, das sagt man so, und man meint damit, dass einer etwas tut, was andere ihm verboten haben. Aber er selber … er tut ja nur was ihm ist“, schreibt er in seiner Erzählung „Klein und Wagner“, erschienen 1919. Daraus ergibt sich eine für ihn, losgelöst von der allgemeinen Moral, logische Schlussfolgerung: Wenn Gewalt und Krieg im Menschen fest verankert sind, haben sie auch ihren Platz in der natürlichen Ordnung. Und zwar als eine katharsische Kraft, einen dionysischen Rausch, der den Menschen näher an die Grundsubstanz des Lebens bringt, und ihn auch immer wieder neu erschafft. „Ich glaube nur an eines: an den Untergang … Wir müssen sterben, wir müssen wiedergeboren werden“, verkündet der Protagonist in Hesses Erzählung „Klingsors letzter Sommer“, erschienen 1920. Eine Philosophie, die er mit Thomas Mann teilte, der, wie bereits erwähnt, in seiner Novelle „Der Tod in Venedig“ Parallelen zwischen Kunst und Krieg zog, und sie beide als Facetten der „Grundmächte des Lebens“ nebeneinander stellt.
So kommt nach Hesse der Krieg und die Zerstörung allen Menschen zu Gute; nach Mann kommt sich vor allem der Soldat auf dem Schlachtfeld selbst näher.
Als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich Hesse freiwillig beim deutschen Militär, um für sein Vaterland zu kämpfen. Er wurde auf Grund seiner Kurzsichtigkeit für untauglich befunden; stattdessen wurde er der deutschen Kriegsgefangenenfürsorge zugewiesen, wo er im Büchersortierdienst tätig war. Des Weiteren war er Mitherausgeber der „Deutschen Interniertenzeitung“ und Herausgeber des „Sonntagsboten für deutsche Kriegsgefangene“.
Seine Wandlung zum Kriegsgegner stellte sich erst ein, als er im Zuge seiner Ämter das enorme Ausmaß der Zerstörung, die der Krieg mit sich brachte, begriff, zum einen durch Gespräche mit Soldaten, zum anderen durch Zeitungsmeldungen. Thomas Mann behielt seine Haltung zum Kriege bei, was zum Bruch der beiden Freunde führte.
Der heute so glühend als erleuchtet verehrte Hesse war auch nur ein Mensch, und zwar ein Musterbeispiel für sein eigenes Menschenbild:
Im Wandel und im Lernen begriffen.
ILLU: Janina-Christin Fischer