Wie jeder weiß, wird unsere Welt schneller und moderner, komfortabler und bequemer. Und wie jeder weiß, weiß keiner wo das hinführen wird.
Wo es geht, werden Helferlein eingesetzt, um unseren Alltag einfacher zu machen. Das Auto startet auf Knopfdruck, das Licht reagiert auf Zuruf, das Handy ebenso, und ganze Zeitungen werden ins Internet verlagert.
Dadurch kann unser Leben in einem höheren Tempo ablaufen, denn wir sparen Zeit. Wir sparen Zeit, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen und die richtige Seite aufzuschlagen, statt dessen durchsuchen wir den Online-Artikel einfach nach Schlagworten. Wir sparen Zeit, die Hand zum Lichtschalter zu heben, wir sparen Zeit, uns mit Freunden zu treffen, weil wir bei Facebook mit ihnen chatten können. Diese Zeitersparnis macht uns produktiver. Der Mensch kann die gewonnene Zeit für wichtigere Dinge nutzen.
Derzeit befinden sich viele dieser Neuerungen noch in den Startlöchern. Über die Datensicherheit Facebooks wird noch diskutiert, und viele nutzen neben ihren iPads auch noch konventionelle Geräte, um zu schreiben, zu malen, sich zu unterhalten oder Musik zu machen. Doch das ist nur eine Frage der Zeit – die ja hier die große Rolle spielt. Vielleicht werden unsere Enkelkinder schon so weit sein, keine Stifte mehr zu verwenden, sondern ihre ersten Schreibversuche auf einem großen Glas-Rechteck zu machen. Auch das Telefon werden sie vielleicht schon nicht mehr kennen. Und noch ein paar Generationen später fehlt den Menschen dann vielleicht auch schon der rechte Daumen – den braucht man fürs iPad ja nicht.
Aber leider wird der Mensch der Zukunft auch unser Wissen nicht mehr haben. Oder doch? Schon heute nehmen wir mehr und mehr Wissen nicht mehr aus Büchern, sondern aus dem Internet auf. Dieser Anteil des digitalen Mediums wird sicherlich zunehmen. Gleichzeitig wird immer mehr Mühe aufgewendet, um das Buch, das mehr und mehr als ausgedientes Medium gilt, in digitale Daten umzuwandeln. Alle großen Zeitungsredaktionen digitalisieren ihre Archive. Es wird gescannt, fotografiert und gespeichert, was das Zeug hält.
Was macht das iPad mit uns und der Umwelt?
Genau da liegt ein großes Problem, denn die Zeit, die ein digitales Gerät eine Information speichert, ist kurz, viel kürzer als die Zeit, die Papier eine Information speichern kann. Eine CD ist schon nach einigen Jahren am Ende, eine Festplatte noch früher. Das Buch ist viel mehr ein Medium „für die Ewigkeit“ – die ältesten Schriften, die wir kennen, sind Tausende von Jahren alt. Ein digitales Medium ist aufgrund seiner Komplexität natürlich viel anfälliger für Fehler und wird niemals diese lange Zeit überdauern können, Ganz davon abgesehen, dass auch ständig die Endgeräte verändert werden und alte Speicher an neuen Geräten schon gar nicht mehr verwendet werden können.
Die riesigen Datenmengen, die angehäuft werden, müssen deshalb ständig „umgewälzt“, also von alten auf neue Datenträger überspielt werden. Die damit entstehende Umweltbelastung ist nicht zu leugnen. Haufenweise Elektroschrott – als ob es davon nicht schon genug gäbe. Auch der Energiebedarf digitaler Archive ist nicht zu übersehen. Das Argument, Papier zu sparen, gilt nur so lange, wie man die Energie, die es kostet, um Server zu betreiben und Datenträger herzustellen, nicht mit einrechnet. Möglicherweise ist es umweltschonender, rezykliertes Papier zu verwenden, statt größere Mengen an Energie für die Herstellung elektrischer Geräte aufzuwenden.
Es gibt also zwei Probleme, die mehr Menschen mehr beschäftigen sollten, als sie es derzeit der Fall zu sein scheint:
Erstens: Die Frage, ob wir wirklich den Weg einschlagen wollen zu immer mehr Digitalisierung auf Kosten der Umwelt und auf Kosten des Geldbeutels. Die ständige Neubeschaffung von digitalen Archiven kostet eine große Summe Geldes, eine große Menge an Material und bedeutet nicht zuletzt eine Menge Arbeit, die sich in regelmäßigen Abständen, nämlich bei Umwälzung der Datenmengen, wiederholt. Doch das größte Manko daran ist sicherlich die Belastung der Umwelt. Zur Zeit kommt dem Thema CO2-Einsparung endlich auch in den Medien und in der Öffentlichkeit allmählich die Aufmerksamkeit zu, die es schon seit Jahrzehnten verdient hat – dabei ist schockierend, dass es kein neues Thema ist; schon in den Achtziger-Jahren haben Wissenschaftler und Organisationen wie Greenpeace auf die Brisanz des CO2-Ausstoßes aufmerksam gemacht. 1995 beispielsweise brachte der „Spiegel“ ein Spiegel-Special-Heft heraus, das sich ganz Nichtregierungsorganisationen und den Themen Umweltverschmutzung und CO2-Ausstoß widmete. Darin kam auch Al Gore zu Wort, der einige Jahre später durch seine „Unbequeme Wahrheit“ noch viel größere Bekanntheit erlangen sollte. „Wir wissen, dass sich Treibhausgase in der Atmosphäre beschleunigt aufbauen. […] Wissenschaftler stimmen darin überein, dass ein weiteres Anwachsen der Treibhausgase eine Veränderung des Klimas bewirken wird und dass sich der Anstieg der Oberflächentemperatur der Erde während des nächsten jahrhunderts von bisher durchschnittlich 1,1 auf 4,4 Grad Celsius erhöhen könnte.“ Schon damals wurde also vor einschneidenden negativen Veränderungen auf der Welt gewarnt.
Das zweite Problem, was sich mit dem digitalen Zeitalter auftut, betrifft das Innere des Menschen, seine Psyche und sein soziales Wesen. Durch ständige Neuerungen werden wir bequemer. Immer mehr Dinge können wir von zu Hause erledigen. Zu E-Mail und Online-Nachrichten gesellten sich nach und nach Dienste wie Online-Kartenverkauf, Online-Versand, und seit kurzem kann man sogar vertrauliche Post sicher per E-Post verschicken. Das Schlagwort bei fast allen diesen Neuerungen ist bequem – und gleichzeitig ist es eine Warnung. Symptome wie Migräne, Sehnenscheidenentzündung und Rückenschmerzen sind die physischen Folgen dieser Bequemlichkeit, Ungeduld, Stress und mangelnde soziale Bindungen die psychischen.
Die Digitalisierung hat bereits unser alltägliches Leben eingenommen und bestimmt es mehr und mehr. Uns Entlastung und Komfort vorgaukelnd, lässt sie uns in Wirklichkeit faul werden und unsere Sinne verkümmern. Oder was ist es anderes als Verkümmerung, wenn wir mal die Idee des iPads weiterdenken und uns unsere Enkelkinder ihre ersten Schreibübungen mit dem Finger auf einem Stück Glas machen sehen? Was ist es anderes als Faulheit, wenn wir zur Erlangung einer Information überhaupt keinen Aufwand mehr betreiben müssen? Wenn es umständlicher ist, an eine Information zu gelangen, brennt sich diese dann auch nicht eher ins Hirn? Beispiel: Wenn wir, um die Bedeutung des Wortes „Glorifikat“ herauszufinden, eben nicht zu Wikipedia können, sondern quer durch Hamburg in die Stabi fahren müssen, werden wir uns hüten, die Definition, die sich in einem schweren Lexikon befindet und die uns die Bibliothekarin aus dem hintersten Regal in den Lesesaal schleppt, gleich wieder zu vergessen. Wie schön ist das Gefühl, nach ewigem Suchen endlich das richtige Buch gefunden zu haben? Viel schöner, als nach zehn Sekunden genervt auf den Computer zu hauen, weil Firefox so langsam lädt.
Doch es tut sich etwas: Immer mehr Menschen besinnen sich auf alte, urige Werte. So nimmt beispielsweise die Zahl der jungen Kleingartenpächter in Städten wie Berlin wieder zu. Biomärkte, in denen es ausschließlich Lebensmittel gibt, die auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind sprießen allerorts aus dem Boden. Die Menschen haben die Langsamkeit und die Natürlichkeit wieder entdeckt, freuen sich an ursprünglichen Dingen, wie der Natur, und besinnen sich auf traditionelle Versorgungswege wie den eigenen Gemüseanbau.
Die Nutzung digitaler Medien ist für die Generation des Autors überhaupt nicht mehr wegzudenken. Und trotz aller Kritik lassen sich ihre Vorzüge nicht leugnen. Wie wäre wohl die arabische Revolution ohne Facebook und Twitter abgelaufen? Der Autor und Redakteur Daniel Boese berichtet in seinem Buch „Wir sind jung und brauchen die Welt“ über die Vernetzung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die gegen Klimawandel und Lobbypolitik vorgehen wollen. Sämtliche dieser oft kleinen Organisationen und Bündnisse wären ohne Facebook, Twitter und Google Docs nicht einmal halb so weit gekommen, wie sie heute sind. Man muß deshalb, so paradox es auch scheint, die großen Softwarekonzerne auch loben oder zumindest dankbar sein, dass diese Dienste zur Verfügung stehen.
Dennoch: Wir müssen erkennen, wo die Grenze ist. Verschafft uns die digitale Welt wirklich nur Vorteile und Komfort, oder treibt sie uns irgendwann in den Wahnsinn und die Umwelt in den Ruin? Das sollten wir uns fragen, wenn wir das nächste Mal ein Handy oder ein iPad in der Hand haben, wenn wir das nächste Mal „Spiegel Online“ lesen oder wenn wir uns das nächste Mal bei Facebook anmelden. Oder auch, wenn wir das nächste Mal den Rechner ausschalten und nach draußen in den Garten gehen. Da wird uns dann bewusst, wie schön die natürlichen Dinge eigentlich sind.
Foto: Johannes Rake