Harte Worte. Sinnlose gegenseitige Beschimpfungen. Eine erbarmungslos direkte Sprache, die eigentlich doch so wenig preisgibt von dem erwünschten „erkenntnisreichen Wissen“ und welche die wirklichen Gefühle der Jugendlichen versteckt.
Nigel Williams „Klassen Feind“, inszeniert von Max Martens in der Zinnschmelze in Barmbek, zeigt eine Klasse von „typischen hoffnungslosen Fällen“, denen sich schließlich kein Lehrer mehr widmen will und die einfach in ihrem Raum zurückgelassen werden. Eine junge Immigrantin, die mit Vorliebe Scheiben einwirft, Schüler mit Vorurteilen gegenüber den „anderen“ Ausländern und ein deplaziert wirkender, durch die Mitschüler genervter Außenseiter mit mehr Ausdrucksvermögen als der Klassendurchschnitt, bilden nur einen Teil der Gruppe. Daneben ein junges Mädchen, dem sein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen erlaubt, die Haltlosigkeit ihrer Mitschüler hinter der rauen Fassade wahrzunehmen und fast bis zuletzt auf einen Ausweg zu hoffen: Vollmond – der Name spricht für sich.
Das Stück entstand in den 70ern, die Inszenierung versetzt es in die Gegenwart. Mit beschämender Nähe zur Realität.
„Vollmond, du Fotze, halt die Fresse!“. Sie tut es nicht. Und wird verprügelt, von Fetzer, dem Tonangeber, dem Härtesten, der gerade unsanft auf seinen wunden Punkt gestoßen wurde: Verstellung, die beinah in Gefühllosigkeit mündet. Die Eigenschaften verwundern nicht. Der gescheiterte elterliche Hintergrund und finanzielle Nöte treiben Fetzer zu einer erbarmungslosen Panzerhaltung, die ihn schützen soll. Darauf angesprochen zu werden, berührt ihn empfindlich, lässt ihn aggressiv und brutal werden. Den übrigen Klassenkameraden wird dies bewusst, helfen können sie nicht. Aus Angst und weil sie in eigenen Problemen versinken.
Doch trotz der übermächtigen Sorgen und Missstände haben alle den Wunsch nach „wirklich wichtigem Wissen“, nach Erkenntnis, und klammern sich an ihre Hoffnung auf Besserung. Längst von Lehrern aufgegeben wehren sie sich noch dagegen den Zweifel über ihren Glauben an Gerechtigkeit und die Hilfe von außerhalb siegen zu lassen. Zum Zeitvertreib beschließen sie, sich selber Unterricht zu geben. Jeder eine Stunde im Fach seiner Wahl. Die fällt aber nicht auf Mathematik und Deutsch, sondern auf Gartenbau im Blumenkasten und wie man sich al
s brünette Immigrantin zwischen den blonden Models auf Werbeplakaten fühlt. Jede „Unterrichtsstunde“ ist wie eine erzählte Geschichte, die Sorgen und Wünsche der Schüler durchschimmern lässt. Trotz der rohen Wortwahl. Es werden Themen angesprochen, die sie berühren und die ihnen Annäherung an eine Lösung verschaffen sollen. Die erhoffte Erkenntnis kann und wird, wie Fetzer schließlich feststellt, jedoch nicht eintreten. Sie zerbricht an der Größe der Probleme.
„Klassen Feind“ ist ein Stück über Abgründe in der Gesellschaft, die schon ihren jüngsten und fähigsten Teil treffen: die Jugendlichen. Es ist durch die „Theater Jugend Hamburg“ von und mit jugendlichen Schauspielern inszeniert, denen man dank ihrer unmittelbaren Nähe zu der dargestellten Altersgruppe und ihrem feinen Einfühlungsvermögen jede dargestellte Rolle fraglos abnimmt und sie beinah mit dieser identifiziert.
Der Fokus liegt auf der Zukunftslosigkeit. Doch eines bleibt klar beim Zuschauer zurück: Nicht die Jugendlichen, sondern die Gesellschaft und der Teufelskreis der Perspektivlosigkeit sind Auslöser und Übel.
Foto: Christoph Aberle