Spaß und Wut im Bunker

Crystal Castles am 23.11.2010 im Uebel und Gefährlich.
Das Gerücht sorgt schon in der Schlange der Konzertbesucher vor dem Millerntor-Bunker für Unruhe: Sängerin Alice Glass habe sich am Fuß verletzt und sei auf Krücken unterwegs. Der bis zur Überspannung energiegeladene Elektrosound von Crystal Castles im Sitzen? Kann das funktionieren? Skepsis macht sich breit. Entspannte Türsteher sorgen für einen schnellen Einlass. Mit dem Lift geht es in den vierten Stock. Um kurz vor neun ist der Club schon gut gefüllt. Aber zum Glück sind die Mädels und Jungs an der Garderobe ebenfalls flink. Die Vorband gibt sich Mühe, stört nicht weiter, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck, die Tanzfläche füllt sich nur langsam. Dann der mit Spannung erwartete Augenblick, die übergroßen Blitzlampen auf der Bühne blenden das Publikum. Nebel steigt auf. Erst sieht man nur Silhouetten. Dann erkennt man Alice am Mikro und Ethan Kath hinter dem Synthesizer. Die Crystals brauchen keinen Anlauf, schon im Intro gibt es richtig auf die Zwölf. Der Sound: richtig laut, und zwar immer. Manchmal leider auch arg übersteuert. Die Lichtshow: meistens grell und hektisch. Entsprechend die Stimmung in den ersten Reihen. Die Menge brodelt. Es wird getanzt, gesprungen, beinahe gepogt. Leider ohne viel Rücksicht und in zunehmend aggressiver, fast hysterischer Art. Die ersten Grüppchen flüchten sich in die ruhigeren hinteren Reihen, abgeschreckt von Ellbogenstößen und fliegenden Bierbechern. Aber das gehört dazu. Ein Crystal-Castles-Konzert bedeutet immer auch Eskalation. Die Musik überschreitet in ihrer Live-Intensität gängige elektronische Tanzmusik deutlich. Ethan steht gebeugt mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze an den Reglern und produziert die Klänge, die das Publikum zum Ausrasten bringen. Neben ihm schreit Alice exzessiv die Songtexte in das Mikrofon. Keine Frage mehr, auch Krücken können sie nicht bremsen. Gespielt werden vor allem Songs des neuen Albums „Crystal Castles II“ Die Beiden haben sich weiterentwickelt. Ein Stück weiter weg von eingängigen Melodien. Offensichtlich ist für die beiden Marktkompatibilität nebensächlich. Live gönnen sie sich keine Pause. Hochspannung von Anfang bis Ende. Die Konzertbesucher gehen mit und sind bis zum Ende geladen. Zwei Songs Zugabe sind zu wenig, schreit die Tanzwut in den Beinen. Der restliche Körper findet es reicht. Er steht kurz vor der Dehydrierung, Haare und T-Shirt sind durchgeschwitzt. Überreizt von akustischen und visuellen Eindrücken kann sich das Gehirn noch zu keinem Urteil entscheiden. Eine rastlose Studentin, die noch vor der Garderoben-Theke zuckt und hüpft, kommt dagegen zu einem klaren Urteil: „Ein grandioses Konzert, ein rauschendes Fest, das nach Wiederholung ruft!“

FOTO: Julia Peterson

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