Rote Büstenhalter

Die mit dem roten Büstenhalter

Was haben Heiner Geißler und die Jungs der Band MGMT gemeinsam? Beide lassen gerne auf sich warten. Stuttgart 21-Schlichter und CDU-Politiker Geißler verkündete am selben Tag mittags seinen Schlichterspruch erst nach einer gedehnten Kunstpause um die Spannung bei den anwesenden Journalisten ordentlich zu schüren. Während es Geißler mit einer charmanten Entschuldigung alter Schule verstand den wartenden Ministerpräsidenten, den Bahnchef, die Projektgegner und die Presse zu besänftigen, verließ sich die Indietronicband MGMT einige Stunden später lieber auf ihren Hype-Faktor. Zu Recht.
Der konzerterfahrene Besucher fand die Vorband ziemlich anstrengend (so beim gefühlt siebten von zwölf Liedern war der Status “Katzenmusik” endgültig erreicht, da traute der junge Frontsänger seiner Stimme doch etwas zu viel Höhe zu). Der Docks-Club war bei minus zehn Grad Außentemperatur doch überraschend ungeheizt und das Bier für 3,30 Euro im Plastikbecher zu teuer. Die vielen jungen bis sehr jungen Besucher im vorderen Bereich verziehen ihren Stars aus New York aber alles. Auch ein Intro, das erst Spannung aufbaute (ansteigende Akkorde, Nebel, Scheinwerfer …) und dann abbrach und wieder zur leisen Hintergrundmusik zurückkehrte um dann die gleiche Prozedur noch mal zu wiederholen. Als MGMT dann schließlich auf der Bühne erschienen, war das alles vergessen und der Jubel groß. Die Setlist folgte nun einer Routine wie sie auf Konzerten von sehr erfolgreichen Popbands üblich ist. Erst ein unbekannterer Song, dann ein Hit, dann wieder ein oder zwei B-Seiten, dann wieder ein Hit. Und das Publikum reagierte entsprechend. Umso höher die erreichte Chartsplatzierung der entsprechenden Single umso lauter der Jubel. Bei dem im Laufe des Abends immer experimenteller werdenden Jam-Zwischen-Einlagen herrschte durchaus weiter gute Stimmung. Aber hätten Andrew Van Wyngarden und Ben Goldwasser samt Livesupport immer nur eine Rotation aus ihren Topsingles “Time to Pretend”, “Electric Feel”, “Kids” und “The Youth” gespielt – das Publikum hätte sich nicht beschwert. Überspitzt gesagt folgte also Pop auf Psychedelic-Electro-Rock, Hit auf “Wir-probieren-mal-was-aus” und Jubel auf wohlwollendem-Kopfnicken.
Das Phänomen ist nicht neu. Aber es war vielleicht ein Grund dafür, dass MGMT (was übrigens für den frühen Bandnamen The Management steht) sehr gut, aber auch sehr routiniert spielten. Die Interaktion mit dem Publikum war nett, aber nicht sehr intim. Das typische Problem einer groß gewordenen Indie-Band: Am Anfang richtig originelle gute Musik, bekannt nur einigen Kennern, der heißeste Geheimtipp überhaupt. Neue Lieblingssongs. Kaum hat man sich versehen, läuft das aktuelle Lied aber schon in der Werbung eines Mobilfunkanbieters und am nächsten Tag schon auf Delta Radio, die Woche darauf dann auf Radio Hamburg. Sehr schöne Sache für die Band so ein Erfolg. Aber das führt eben dann dazu, dass auch die breite Masse zu den Konzerten kommt und die Atmosphäre glatter, professioneller und schlimmstenfalls austauschbar wird.
Aber lassen wir die Kirche mal im Dorf. Die Leute waren nett, die Stimmung entspannt, die Füße wurden nach der Hälfte des Konzerts auch langsam warm und MGMT spielten auf sehr hohem Niveau sehr wohlklingende Musik. Ein Konzert braucht auch nicht unbedingt Musikübernerds oder bandeigene Ultras, die noch den aller ältesten Hidden-Track auswendig mitsingen können und mit denen die Band Insider-Anekdoten austauschen kann.

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