Zwischen Raps & Bollywood: Kyai!

Wir haben es geahnt: Windmühlen, alternative Energien und Althippies sind lange nicht so gut wie ihr Ruf. Diesen Argwohn macht sich auch Merle Kröger zunutze. In ihrem zweiten Kriminalroman „Kyai!“ schickt sie die Filmexpertin Mattie Junghans mitten hinein in den norddeutschen Politikzirkus voller fieser Alt-68er, gerissener Wahlkampfstrategen und manipulativer Bundeswehrtherapeuten. Dazu gibt es eine Liebesgeschichte, die noch dem buntesten Bollywood-Streifen Konkurrenz macht und einen Bundeswehrskandal.

Dabei möchte Mattie nichts weiter, als mit ihrem Wanderkino die norddeutsche Küste entlang ziehen. Blöd nur, dass bei einer Vorführung in Schleswig-Holstein einige Nazis aus dem benachbarten Übungsgebiet der Bundeswehr einfallen, die Leinwand kurzerhand in Brand stecken und Mattie bedrohen.
Doch sie hat Glück im Unglück. Die Leibwächterin Jasmin Assadi rettet ihr mit einem beherzten Tritt das Leben und stellt ihr ihre prominente Arbeitgeberin, die SPD-Bundestagsabgeordnete Frederike von Westenhagen, vor. Umgeben von Raps und Windmühlen lebt diese zusammen mit ihrem Mann, dem Therapeuten Joachim von Westenhagen und ihren Kindern auf einem ökologisch vorbildlichen Landgut. Frederike steckt mitten im Wahlkampf, verspricht Mattie aber trotzdem zu helfen. Sie gibt ihr den Auftrag, einen Werbefilm für Schleswig-Holstein zu drehen, um ausländische Touristen anzulocken.
Auch aus dem Ausland kommt unerwartet Hilfe für Mattie: Cal, ein berühmter indischer Musikproduzent und zufällig auch der Liebhaber ihres Ex-Freundes, soll das erste Bollywood-Musical im Berliner Spree-Speicher vorbereiten. Ohne zu zögern beauftragt er Mattie damit, eine Filmreihe für die spielfreien Abende zusammen zu stellen.
Der Ex-Freund selbst, der auftragslose, idealistische Reporter Nick Ostrowski, kommt nicht mit. Er ist zu sehr damit beschäftigt, in Bombay sich selbst und anderen zu beweisen, wie gut er in der Millionen-Metropole klarkommt. Und während sich Nick im heißen Indien als Vollzeittrinker und Gelegenheits-DJ über Wasser hält, kommen sich im kühlen Deutschland Cal und Mattie zusehends näher.
Gemeinsam beschließen sie, auch Nick zu seinem Glück zu verhelfen und ihn nebenbei nach Deutschland zurück zu holen. Im Auftrag einer fiktiven Zeitungsredaktion schicken sie ihn zur Recherche nach Pune, einer ehemaligen Hippie-Hochburg im Südwesten Indiens, wohin schon Frederike von Westenhagen und ihr Mann vor Jahren gepilgert sind.
Der Plan geht auf: Nick kehrt zurück nach Deutschland. Doch die Geschichte, die er aus Pune mitbringt, ist weit entfernt von jeder Fiktion. Sie führt zum Gut Westenhagen und lässt seine gepflegt-alternativen Bewohner plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen.

Der zweite Roman Merle Krögers gleicht an vielen Stellen einem Bollywood-Spektakel: farbenfroh, wirr und etwas seicht zugleich. Ist die Handlung trotz vieler Handlungsstränge im Großen und Ganzen nachvollziehbar, sogar spannend, stellen die Figuren den Leser vor ein Rätsel: Matties, Cals und Nicks Dreiecksbeziehung wird als die größte Selbstverständlichkeit dargeboten. Was in seinen Grundzügen wie ein großer innerer Konflikt aller Beteiligten anmutet, wird mit ein paar nichtssagenden Floskeln abgetan.
Auch fällt der beim Vorgänger „Cut!“ viel gelobte „Aufprall der Kulturen“ bei „Kyai!“ eher unbefriedigend aus. Lässig tappt Kröger von einem Klischee zum nächsten und kommt über den Inhalt eines Stammtischgespräches nicht hinaus. Wer sich näher mit dem postkolonialen Indien auseinandersetzen möchte, wird hier nicht fündig. Mehr als die üblichen Schilderungen des Wirtschaftsbooms, des Gegensatzes zwischen Arm und Reich und der Korruption von Sicherheitsbeamten gibt das Buch nicht her.
Und auch die Situation der Migranten in Deutschland ist an vielen Stellen zu einseitig erfasst. Fremdenfeindlichkeit tritt einem da in geradezu grotesken Formen entgegen. So möchte der spirituell angehauchte, umweltbewusste und – man möchte meinen – linke Johannes von Westenhagen bei einem Filmdreh an seinem Gut plötzlich explizit keine muslimischen Sicherheitsleute haben, weil „man ja heutzutage nie weiß“.
Mag sein, dass Kröger hier feinfühlig die angesichts der wirtschaftlichen Flaute aufkeimenden neokonservativen Stimmungen in Deutschland erfasst. Die Häufung der einschlägigen Vorfälle wirkt in dem Roman aber überladen.
Doch trotz der Mängel verliert das Buch nicht an Unterhaltungswert. Am Ende bleibt der Eindruck eines wirren, bunten, etwas überladenen Mosaiks.

Merle Kröger
Kyai!
Ariadne Krimi
Argument Verlag
9,90 Euro

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