Charlotte Roche: Feuchtgebiete – Wenn es immer noch schlimmer werden kann

Markus Kafka hat es getan. Sarah Kuttner macht es immer wieder und auch Charlotte Roche wagte es. Ein Trend zeichnet sich ab: MTV- und Viva-Moderatoren gehen unter die Schriftsteller.
Mit dem Roman „Feuchtgebiete“ begab sich Charlotte Roche im Februar 2008 auf einen Erfolgskurs. Mehr als sieben Wochen verweilte ihr Buch auf dem ersten Platz der Literatur-Charts und kann mit über einer Million verkaufter Ausgaben den Stempel „äußerst erfolgreich“ aufgedrückt bekommen.
Wir kannten Roche bis zur Veröffentlichung von „Feuchtgebiete“ als extravagante Fast-Forward-Dame mit nasaler Stimme, einem frechen Mundwerk und einer beschämenden Offenheit. Sie hatte die Schnauze voll, immer nur Stars zu interviewen und wurde Autorin.

Ab und zu passiert es eben: Man rasiert aus Versehen etwas zu grob über die Hämorrhoiden und findet sich wenig später mit einer Analfissur auf der proktologischen Abteilung des Krankenhauses wieder. Helen, 18 Jahre alt, gehört zu denjenigen, die dieses Schicksal ertragen müssen – und sie erträgt es gut. Während sie darauf wartet, dass ihre Hämorrhoiden entfernt werden, hat sie viel Zeit nachzudenken. Am liebsten schweift sie mit ihren Gedanken in die Vergangenheit, um von ihren Masturbationspraktiken, vorzugsweise mit selbstgezüchteten Avocadokernen, ihren Hygienevorstellungen oder ihrem Umgang mit Menstruationsblut zu berichten. Helen stellt ausdauernd dar, dass sie bezüglich ihres eigenen Körpers keine Schamgrenze besitzt.
Im tiefen Innern ist Helen jedoch nur ein erschüttertes Scheidungskind, welches durch den Krankenhausaufenthalt, Provokation und Ausdauer versucht, die Eltern wieder zusammen zu schweißen.
Für den Versuch, die Reunion ihrer Familie im Krankenhaus zu erwirken, legt Helen sich ordentlich ins Zeug: Sie reißt sich ihre frische Wunde am Po wieder auf und verlängert dadurch ihren Aufenthalt.
Als ständiger Gesprächspartner steht ihr der Krankenpfleger Robin zur Verfügung, der sie unfreiwillig in ihrer Trauer um die geschiedenen Eltern auffängt. Er muss ihre Freizügigkeit ertragen und wird Objekt ihrer Fantasien.
Irgendwann muss Helen jedoch einsehen, dass ihre Bemühungen um ihre Familie auf unfruchtbaren Boden gesät wurden. Sie plant einen letzten Racheakt.

Charlotte Roche macht es wie immer auf ihre eigene Art und Weise: Provozierend und sehr selbstbewusst. Wäre das Buch etwas weniger provozierend und etwas weniger selbstbewusst, würde man nach den ersten hundert Seiten nicht überlegen müssen, ob es sich wirklich lohnt, weiterzulesen. Die Geschichte ist platt und der einzige Reiz des Buches sind die sich häufenden Perversitäten, die mit zunehmender Seitenzahl immer unspektakulärer werden.
Nach eigener Aussage sind 70 % des Buches autobiografisch und das macht Angst. Es mag sein, dass Frau Roche mit „Feuchtgebiete“ die verklemmte Gesellschaft aufrütteln möchte. Ich jedoch will nicht wissen, welche schlüpfrigen Gedanken in den Köpfen meiner Mitmenschen hausen. Ich weigere mich darüber nachzudenken, wie die Intimrasur meines Gegenübers aussieht, welche Masturbationspraktiken er bevorzugt und was er am liebsten mit Sperma, Smegma und Urin anstellt.
Charlotte Roche darf mich als prüde beschimpfen, ich werfe ihr die Gier nach Aufmerksamkeit vor.

FOTO: Roswitha Siedelberg /Flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

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