Um es gleich vorweg zu nehmen: Selten habe ich so gerne applaudiert. Was jetzt folgt ist also eher undistanzierter Art und wahrscheinlich nichts für das abwägende Feuilleton.
Babel, das war ein 100-Minuten-Feuerwerk aus Tanz, Schauspiel und Musik. Zusammengehalten durch philosophische und gesellschaftskritische Themen und gespickt mit nicht zu wenig Humor. Das hört zu sich Recht bunt und groß an.
Von Mittwoch bis Samstag ist die neue Produktion des gefeierten Tanzchoreografen Sidi Larbi Cherakaoui auf Kampnagel zu Gast. 18 Künstler aus 13 Ländern mit 15 Sprachen sind als Tänzer und Musiker an dem Projekt beteiligt.
Das Stück handelt vom unkontrollierbaren Aufeinandertreffen zwischen verschiedenen Sprachen und Kulturen, zwischen Gestern und Morgen und zwischen Chaos und Mechanik. Letztendlich ist es eine Geschichte von Menschen, die manchmal mit- und manchmal gegeneinander ihren Weg durch dieses dynamische Dickicht suchen.
Inspiration ist dabei die biblische Geschichte des Turmbaus zu Babel, in der Gott die Menschen mit Chaos und Zersplitterung in unterschiedliche Sprachen und Kulturen bestrafte. Daraus entstand eine Collage, die sich dem Thema Verständigung und Kommunikation auf vielen Wegen nähert.
Da war die bezeichnende Slow-Motion Szene, in der ein Kampfgetümmel zeitlupenartig dargestellt wurde. Wie im Fernsehen, nur besser. Weil die Tänzer ausschließlich durch ihre Körperbeherrschung glauben ließen, die Zeit verginge langsamer oder zumindest die Schwerkraft habe deutlich nachgelassen.
Da gab es den denkwürdige Flirt zwischen einem brusttrommelnden Neandertaler und einer wimperklimpernden mechanischen Roboterdame. Hier überzeugten besonders die Komik der Situation und die Symbolik: Vergangenheit und Zukunft des Menschen treffen sich auf engstem Raum.
Und da wurde der Sicherheitscheck vor dem Abflug wurde gezeigt. Die vordergründig freundliche aber eigentlich standardisierende und unpersönliche Kontrolle durch dieselbe multilinguale Roboterfrau, die auch dem Affenmensch begegnete. Sie durchzog das ganze Stück als Symbol einer technisierten Menschheit, welche diesen Namen eigentlich gar nicht mehr verdient.
Aber da waren auch die furiosen Tanzszenen. Angetrieben von mächtigen Trommeln, die auf einer Empore im Hintergrund bespielt wurden, verwandelten dreizehn Tänzer die Bühne in einen packenden Strudel. Als Kontrast dazu dann die intimen Tänze zwischen Liebhabern, die ihre Körper umeinander spielen ließen und so zu einer pulsierenden Einheit verschmolzen.
Kurz: Ein facettenreiches und tiefes Thema, tänzerische Meisterschaft, musikalische Vielfalt und auch ein durchdachtes Bühnenbild (fünf bewegliche Leichtmetall-Kuben, mal statisch, mal von den Tänzern bewegt) formten sich in diesen 100 Minuten zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk. Der Clash of Civilisations ist nicht das Ende – sondern unglaublich vital.
FOTO: Koen Broos