Rap als Perspektive

Jay hat eine schwierige Jugend hinter sich, aber er hat es geschafft davon loszukommen. Jetzt gibt er anderen Jugendlichen eine Perspektive – mit Rap.

Wir sitzen in Wilhelmsburg in einem der modernen IBA-Häuser in Jays stylischem Wohnzimmer. Holzfußboden, Ledercouch, an einer Wand steht ein Klavier- alles riecht neu. Jay (26), der im richtigen Leben Jan heißt, Ma’ness alias Daniel (17) und ich reden über One Step Ahead, kurz OSA. Das ist die Rap-Crew, mit der die beiden Jungs unterwegs sind. „Würden wir nicht zusammen Musik machen, hätten wir uns nie kennen gelernt“ sagt Jay und spielt auf die Vielfalt der siebenköpfigen Crew an. Serben, Deutsche, Sinti und Roma, Türken und Araber sind dabei, von 14 bis 26 Jahre alt und alle verbindet vor allem eins: der Rap. In den Texten geht es aber nicht um Gangster und die Mütter anderer Leute, sondern es sind kritische Verse aus dem Leben der Jungs. Ma’ness zum Beispiel hat einen Text „Hier nicht willkommen“: Er ist Roma, in Deutschland geboren und wurde zusammen mit seiner Familie abgeschoben, als er ein Jahr alt war. Die Familie flüchtete zunächst nach Frankreich. Über Belgien, Schweden und die Schweiz sind sie vor fünf Jahren wieder nach Deutschland gekommen. Auch wenn er mit seinen 17 Jahren hier angekommen scheint, zur Schule geht und wohl das ist, was in der Presse und Politik als „sozial integriert“ bezeichnet wird, ist er in Deutschland nur geduldet. Das heißt, er und seine Familie können jeden Tag wieder ausgewiesen werden kann. Dass Ma’ness sich „Hier nicht Willkommen“ fühlt, ist nachvollziehbar.

„Ich sehe jeden Tag so planlose Jugendliche rumlaufen, wie ich einer war“.

„Wir sind ein Sammelbecken aus verrückten Lebensgeschichten“ sagt Jay und spielt auch auf seine eigene Vergangenheit an. Ein „Aggrokind“ sei er gewesen. Prügeleien, Gangs, Stress mit Lehrern und Drogen spielten schon früh in seinem Leben eine große Rolle. Auf der anderen Seite bewegte er sich, da er aus einem akademischen Elternhaus stammt, immer auch in intellektuellen Kreisen. Beim Abendessen sprachen die Eltern mit ihm über gesellschaftskritische Themen, sein „altlinker“ Klavierlehrer, wie Jay ihn selbst bezeichnet, brachte ihn mit linken Standpunkten und Ideen in Berührung. Wichtiger ist die Rolle des Klavierlehrers aber für Jays Rap- Ambitionen: Jay hatte nie Bock Klavier zu lernen, allerdings hatte der Lehrer ein privates kleines Tonstudio und unterstützte ihn bei den Aufnahmen der ersten Rap-Texte.
Auf die Frage, wie er zum Rappen gekommen sei, erzählt Jay eine Geschichte von seinem 12. Lebensjahr: „Ich hatte Stress mit einer Gruppe Jungs. Aus irgendeinem Grund hatten die mich provoziert und ich bin direkt ausgerastet und hab Schläge verteilt. Zwischenzeitlich hatte ich mein Fahrrad an einen Kumpel verliehen. Beim Basketball spielen hatte er das Fahrrad an die Seite gestellt. Die Jungs, die ich kurz zuvor verprügelt hatte, bekamen das Fahrrad in die Finger und machten es aus Rache kaputt. Mein Kumpel brachte mir nur noch das total zerstörte Fahrrad. Und da habe ich meine Wut das erste Mal in einen Text gebracht. Der hatte sieben Seiten und war total unrapbar“ sagt Jay und schmunzelt. Über einen Freund, der selbst auch in der linken Szene aktiv war, kam Jay dann mit 14 in ein Jugendzentrum nach Steilshoop, in dem er mit anderen zusammen rappte. Nach einer Weile wurden die Mitarbeiter des Jugendzentrums auf ihn aufmerksam und baten ihn, Rap- Workshops für die Kinder und Jugendlichen der Gegend zu veranstalten. „Seit 2006 mache ich das. In der Zeit habe ich mit 70 Jungen und Mädchen gearbeitet, der größte Teil mit Migrationshintergrund. Aus denen wurden eigenständige Crews und sie treten erfolgreich auf Contests an.“

Der persönliche Umbruch eines bewegten Charakters

Jay, der Arabistik studiert und bei verschiedenen Theater- und Rap-Projekten, sogar in Marokko und Tunesien, beteiligt war, hat die Kurve gekriegt. Auf die Frage, wie er sich von Gewalt, Drogen und schlechter Gesellschaft getrennt hat, erzählt er von einem Theaterprojekt, in das er von einer Freundin seiner Mutter geholt wurde. „Sie wollte ein Stück aufführen zusammen mit Schulkindern. Da aber viele Kinder keinen Bock auf Theater haben, bat sie mich, ob ich einen zusätzlichen Rap- Workshop mit dieser Klasse machen könnte. Nach ein paar Tagen in dem Theater- und Rap-Projekt wollten die Kids mich gar nicht mehr gehen lassen. Sie wurden besser in der Schule und ruhiger zuhause, weil sie gelernt hatten, sich zu konzentrieren und für Ziele zu arbeiten. Und da machte es bei mir ‚Klick‘ und ich dachte mir, dass ich die ganze andere Scheiße eigentlich gar nicht mehr brauche. Mir wurde klar, dass ich mit meiner Leidenschaft für Rap und Theater viel erreichen kann.“
Seine persönliche Zukunft sieht Jay auch genau in diesem Bereich. Kaum zu glauben, dass das derselbe Kerl ist, der seine Jugend „wie durch einen Schleier“ erlebt hat, weil er ständig bekifft in zwielichtiger Gesellschaft verbrachte. Jay ist ein Mann, der einen Plan für sich hat und sich hohe Ziele setzt. Und dass er sich da nicht nur haltlosen Träumereien hingibt, beweisen die Videos seiner Crew auf dem Youtubekanal von OSA. One Step Ahead ist nicht einfach ein „nettes keines Musikprojekt“, wie mancher vielleicht vermuten wird. Das ist professioneller Rap mit tiefen Texten und ernsthaften Themen.

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