Die Welt ist groß, und Rettung dauert länger als ein Suff

„Die Generation unserer Großeltern hatte versteifte Werte, die unserer Eltern Anti-Werte und unsere hat keine Werte.“ So fasst Gerszewski die Lage einer Generation zusammen. Das Verlorensein in ethischen Dilemmata, die notorische Ablehnung von Nähe, aus Angst verletzt zu werden, und die Ziellosigkeit der heutigen Jugend: Das ist der Ausgangspunkt dieser Sammlung aus Kurzgeschichten und Gedichten. Das Buch spielt größtenteils in der Drogen- und Schmuddelszene Hamburgs.

Die Sammlung besteht aus drei Teilen, die sich nach den darin behandelten Themen trennen: Der erste Teil, sehr passend „Ich kritisiere nicht, Ich realisiere“ betitelt, befasst sich mit der Anklage verschiedener Zustände der modernen Gesellschaft. Er beginnt mit einer Fabel, in der die Götter, die in Erfahrung bringen möchten, warum der moderne Mensch so schlecht zu seinen Mitmenschen ist, am Ende selber an ihrer eigenen Schöpfung scheitern, und am Hamburger Hauptbahnhof enden. Die anderen Texte befassen sich mit plakativen Protesten eigentlich gleichgültiger Jugendlichen, die aus Prestigegründen Revolutionäre mimen, und davon, wie Konsumkritik und Gegenläufertum vom Kapitalismus assimiliert wurden, so dass jeglicher Aussage die Zähne gezogen werden.

Der zweite Teil, „Der Zapfhahn schlägt die Barrikaden“, handelt vom Aufstand gegen die im ersten Teil angeklagten Zustände. Er portraitiert die junge Generation, von den Eltern als entweder gleichgültig oder dumm missverstanden, als eine Generation, die zu abgeklärt ist, um sich zu kümmern oder schockiert zu sein, und versucht, ihren Sinn in Drogen, Partys und Promiskuität zu finden. Oftmals, wie Gerszewski bemerkt, nicht etwa weil es ihnen so gefällt, sondern weil es einfacher ist, als eine wirklich bedeutende Bindung zu anderen Menschen oder einem Ideal zu finden.

[soundcloud url=“https://api.soundcloud.com/tracks/94272077″ params=“color=ff6600&auto_play=false&show_artwork=true“ width=“100%“ height=“166″ iframe=“true“ /]

Der dritte Teil, „Endstation Innovation“ befasst sich mit Auswegen aus den Misständen, die beklagt werden. Er spielt sich inhaltlich von tristem grauen Alltag zu Utopien: Eine unter Depressionen leidende Frau trifft in der U-Bahn einen jungen Mann, der ihr mit einer kryptischen Botschaft die Augen öffnet. Einige Monate später sitzt sie im Flieger nach Afrika, wo sie ein soziales Jahr macht. Woanders begegnet eine Partygängerin einem Jungen, der ohne festen Wohnsitz lebt, „On the Road“, quasi, und überlegt selbst, wie weit ihre gesicherte Existenz Freiheit oder Fessel ist. Ab und zu landen die Texte dabei im Klischee, aber nie so weit, dass es einen aus der Erfahrung reißen würde, oder vom Buch abwendet.

Vielmehr kommt zum Vorschein, inwiefern „Die Welt ist groß“ eben doch das Debütwerk einer jungen Autorin ist. Am besten ist das Buch dann, wenn die Autorin willens ist, dahin zu gehen, wo es weh tut, wo es intim und persönlich ist. Wenn eine Protagonistin nach einem sehr persönlichen Traum über ihren Exfreund von einer Freundin nach ihrer Nacht gefragt wird, und schnell einen rebellischen Traum erfindet, um sich hinter einer „coolen“ Maske zu verstecken. Wenn eine Frau Sex mit einem Jungen hat, weil ihr dessen Existenz am sozialen Rande (komplett mit schäbiger Behausung und vernachlässigendem Vater) leid tut, und sich hinterher große Mühe geben muss, sich nicht zu ekeln. Und wenn sich eine Jugendliche fragt, was sie aus ihrem Leben, und ihrer vergleichsweise privilegierten Stellung in der modernen Welt macht. Kurz: Wenn es ums Verlorensein und Sich-Hinterfragen geht.

Um so verwirrender ist es dann, wenn halbwarme Anklagen in Richtung H&M geworfen werden, zum hundertsten Mal auf die bösen Konzerne geschimpft und hemdsärmelig gegen Spießer gepöbelt wird. Alles legitime Anklagen, die aber hier oftmals willkürlich und plakativ erscheinen. Vor allem dann wirkt das aufgesetzt, wenn man es gegen die wesentlich dezidierteren und reflektierteren Einblicke in die „heutige Jugend“ vergleicht. Nichtsdestotrotz zieht „Die Welt ist groß“ einen in seinen Bann, und schafft es hier und da, zu berühren. Es ist nicht perfekt, aber es ist persönlich, und neu.

FOTO: Antonia Buresch

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert